Schwarzer Schwan
sie eine Nummer.
»Britta, meine Schwester«, erklärte sie.
»Ich bringe dich hin«, versprach Dominik, denn Hanna erschien ihm zu aufgeregt, um selbst zu fahren.
Eine Weile presste sie den Hörer ans Ohr, dann legte sie auf und ließ sich auf einen Stuhl sinken.
»Nicht da?«, fragte Dominik.
Hanna schüttelte den Kopf.
»Und dein Freund?«
»Fällt flach heute Abend. Musste beruflich schon wieder nach Berlin.«
»Hast du keinen Schlüssel für seine Wohnung?«
»Nein!« Unverhofft war Hanna laut geworden. »Was fällt dir eigentlich ein, mich über mein Privatleben auszuhorchen!«
»Ich hab doch nur …«
Die Bankerin winkte ab und fuhr sich durchs Haar. »Entschuldige, Dominik. Meine Nerven. Die letzten Tage waren das reine Chaos.«
»Wenn du möchtest, Hanna …« Er war sich nicht sicher, wie er seinen Vorschlag in Worte fassen sollte. »Du kannst bei mir übernachten, wenn du einen Tapetenwechsel brauchst. Für ein paar Tage kein Problem. Ich hab genügend Platz.«
In diesem Moment schellte Hannas Telefon.
Sie meldete sich und Dominik bekam mit, dass es ihre Schwester war, die eben nur das Klingeln zu spät gehört hatte. Hannas Miene hellte sich auf.
44.
Dominik fuhr keine hundert Meter, dann bog er in die Suitbertusstraße. Es war Tagesschauzeit, die Straßenränder waren hoffnungslos zugeparkt. An der Stelle, wo er im Morgengrauen das Fahrrad gefunden hatte, ließ Dominik seinen Wagen auf den Gehsteig rumpeln. Er stieg aus, Hanna folgte ihm.
»Was hast du vor?«, fragte sie.
»Leonies Handy ist hier geortet worden. Wir könnten gemeinsam suchen, was meinst du?«
Er schloss die Handschellen auf, mit denen er das Rad gesichert hatte. Probehalber schob Hanna das Gefährt über das Pflaster. Der Lenker stand schief. Das vordere Schutzblech schabte am Reifen.
»Ich hab’s mir heute früh schon angesehen«, sagte Hanna. »Leonie muss einen Unfall gehabt haben.«
»Aber dann wäre sie irgendwann aufgetaucht.«
Hanna führte die Faust zum Mund und schwieg. Ihre Zähne gruben sich in die Knöchel.
»Welchen Klingelton hat das Handy deiner Nichte?«, fragte Dominik.
»Das wechselt ständig. Zuletzt ein Bellen oder ein Husten. So etwas findet sie lustig. In ihrer Clique gibt es einen regelrechten Wettbewerb um den originellsten Ton.«
»Hast du ihre Nummer gespeichert?«
Hanna zückte ihr Handy und drückte ein paar Tasten.
Ein Auto fuhr vorbei, Dominik konnte nichts hören.
Er entfernte sich ein paar Schritte. »Kannst du noch einmal wählen?«
Hanna tat, worum er gebeten hatte.
Da war ein leises Geräusch. Ein paar Meter weiter konnte Dominik es deutlicher hören. Es drang aus der Hecke eines Vorgartens.
Eindeutig: ein langgezogener Furz. Drei Mal, dann war es still.
»Die Mailbox«, sagte Hanna, ihr Handy noch am Ohr. »Wie jedes Mal seit letzter Nacht.«
Dominik ging in die Hocke. Unter dem Gesträuch war es zu dunkel, um etwas zu erkennen. Er streckte sich, konnte aber nichts tasten.
»Noch einmal, bitte.«
Wieder furzte es, zugleich schimmerte dicht am Zaun etwas auf. Dominik zog sich Kratzer am Handrücken zu, doch mithilfe eines Stöckchens konnte er Leonies Handy schließlich hervorangeln. Weißes Gehäuse, großes Display – ein nagelneues iPhone.
»Das hätte sie niemals freiwillig weggeworfen«, sagte Hanna. »Hab ich ihr zu Weihnachten geschenkt.«
Dominik holte eine Beweismitteltüte aus seinem Honda, um das Handy zu verstauen. Ein Fall für die Kriminaltechnik.
»Ich danke dir«, sagte Hanna und blickte ihn mit schimmernden Augen an.
»Wofür?«
»Du bist anscheinend der einzige Polizist, der Leonies Verschwinden ernst nimmt.«
Weil ich ein schlechtes Gewissen habe, dachte Dominik. Die Bankerin tat ihm leid. Er war Teil der Überwachungsaktion gewesen, die sie in Angst und Schrecken versetzt hatte. Ihm war fast, als hätte er selbst die Wanzen in ihrer Wohnung angebracht. Wenn er einen Teil seiner Freizeit opferte, damit sich diese Frau etwas besser fühlte, war das nur gerecht.
Er winkte Hanna, ihm zu folgen, und sie betraten das Grundstück. Dominik klingelte am Hauseingang. Es summte. Im Erdgeschoss empfing sie ein Mann in seiner Wohnungstür. Bierbauch, kurze Hose, mürrischer Blick. Dominik zeigte seine Marke, stellte Hanna als Kollegin vor und fragte nach Leonie, dem Bewohner das Foto aus der Vermisstenakte unter die Nase haltend.
Zehn Minuten später hatten sie alle anwesenden Mieter des Hauses befragt. Niemand hatte letzte Nacht etwas
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