Schwarzer Schwan
nur in dieser Umgebung. Es ging ihm allgemein so in letzter Zeit.
Achtundvierzig. Und immer noch Hinterbänkler.
Wozu Ambitionen? Er verdiente genug. Ohne sich kaputtzuschuften.
Dingendorff sieht in dir einen Mann mit Zukunft.
Erst wirst du Mitglied im Sparclub …
Mierscheid überlegte, was er über diesen Verein wusste. Gerüchte: Ein früherer Chef der NRW-Landesbank hatte vor zwei Jahrzehnten den Club gegründet, dessen Jahrestreffen als legendäre Besäufnisse berüchtigt wurden. Skat und dicke Zigarren – Karrieren in Politik und Wirtschaft wurden dabei angekurbelt. Heute kaum mehr vorstellbar: In Düsseldorf regierten zu jener Zeit die Sozis mit absoluter Mehrheit.
Gerede: Ein späterer Bundespräsident gehörte zum Club. Ein weiteres Mitglied ging als Wirtschaftsminister nach Berlin. Auch Unionsleute fanden in den Kreis. Der monatliche Beitrag lag im unteren dreistelligen Bereich, damals noch in Deutscher Mark – Vermögensbildung war als Zweck der Vereinigung sicher nur ein Vorwand gewesen.
Geflüster: Die Landesbank soll um die Jahrtausendwende ihre Aufsichtsräte mit Freiflügen umgarnt haben. Ein Kopilot munkelte von Spaßreisen und Nutten an Bord. Bevor es zum Prozess kommen konnte, war der Zeuge verschwunden, vermutlich ins sonnige Ausland und mit reichlich Schweigegeld versehen. Der Sparclub 91 war als gemeinsamer Nenner all dieser filzigen Umtriebe genannt worden. Zu jener Zeit hatte sich Mierscheid erstmalig um das Direktmandat im ländlich geprägten Wahlkreis beworben und aus dem nahen Düsseldorf lediglich mitbekommen, was in der Presse stand.
Danach war es still um den Verein geworden.
Mierscheid zog Frantzens Umschlag aus der Innentasche seines Sakkos. Er fetzte die Lasche auf. Ein Kärtchen aus dickem Papier steckte darin. Handgeschöpft, vermutete Mierscheid.
Tagungshotel Burg Schassberg, Freitag, 20 Uhr.
Ein Imbiss wird gereicht.
Dresscode smart casual.
Die Rückseite war unbedruckt geblieben. Keine Angaben zum Zweck des Treffens. Mierscheid nahm sich vor, die Einladung zu ignorieren. Womöglich bestand der erwähnte Imbiss aus zähen Brötchen, belegt mit billiger Wurst und durchweicht von matschigen Tomaten.
Aus der Begegnung mit Frantzen wurde er nicht schlau. Lothar Mierscheid, ein Mann mit Zukunft?
»Noch ein Bier?«
Die Frage schreckte ihn aus den Gedanken. »Gern.«
»Wir haben auch Berliner Weiße.« Die Frau im grünen Pulli legte den Kopf schief.
»Nein, passt schon.«
Er nahm die geöffnete Flasche entgegen und bedankte sich wieder. Diesmal lächelte die Bedienung sogar.
Die Beschallung wurde für einen Moment schwächer und Mierscheid bemerkte, dass sein Handy piepste. Er hatte einen Anruf verpasst. Die Nummer auf dem Display sagte ihm nichts.
Er rief zurück.
Malte Lichtenberg meldete sich. »Ich versteh dich kaum«, sagte der Staatssekretär. »Wo steckst du? Über-dreißig-Party?«
»Was ist los, Malte, warum rufst du mich an?«
»Paula … Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft hat die Leiche freigegeben. Morgen schon ist die Beerdigung in Neuss. Um 14 Uhr, Hauptfriedhof. Wollte ich dir nur sagen. Falls du Wert darauf legst, dabei zu sein.«
Und ob ich dabei sein will, dachte Mierscheid.
Er nahm einen tiefen Schluck. Er sollte keinen Groll auf den Kerl hegen. Ihnen beiden war die Frau genommen worden, in die sie einst verliebt gewesen waren. Auf gewisse Weise teilten sie ein Schicksal.
»Sonst etwas Neues?«, fragte Mierscheid.
»Die Polizei hat endlich einen Zeugen gefunden, der das Fluchtauto des Täters beschrieben hat. Damit sollten sie den Kerl kriegen.«
»Hoffen wir’s.«
»Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich es war?«
»Ist dir das wichtig?«
Schweigen am anderen Ende.
Mierscheid steckte das Handy ein und lehnte sich zurück.
Mir sagt die Polizei nichts, aber Lichtenberg verrät sie das mit dem Fluchtwagen. Mierscheid fand das ungerecht. Und wieder fragte er sich, in welcher Angelegenheit Paula seinen Rat gesucht haben konnte.
Auf dem Bildschirm führte jetzt Derrick seine Tränensäcke vor.
46.
Donnerstag, sechs Uhr dreißig: Die Stimme des Nachrichtensprechers weckte Dominik aus einem unruhigen Schlaf.
Er versuchte, sich auf die Meldungen zu konzentrieren und nicht wieder einzudämmern. In Göttingen demonstrierten Arbeiter gegen die geplante Zerschlagung eines Kalikonzerns. Der Bundespräsident war wegen irgendwelcher Äußerungen zu Afghanistan in heftige Kritik geraten. Die Kanzlerin machte sich in Brüssel für eine
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