Schwarzer Schwan
beobachtet.
»Ist das immer so mühsam?«, fragte Hanna, als sie wieder auf die Straße traten.
»Wir können uns aufteilen.« Dominik löste die Kette seiner Kripomarke vom Gürtel und hielt sie Hanna hin.
»Ist das nicht illegal? Amtsanmaßung, oder so?«
»Das wird deiner Nichte ziemlich egal sein.«
Hanna schloss ihre Finger um die Marke.
»Du weißt ja jetzt, wie’s geht. Bleib im Hausflur, lass dir keine Gespräche aufdrängen und vertrödel keine Zeit mit Leuten, die nichts zur Sache sagen können.«
Dominik holte aus dem Auto eine zweite Kopie von Leonies Foto, drückte sie Hanna in die Hand und entnahm seinem Portemonnaie den grünen Polizeiausweis, den er anstelle der Marke vorzeigen konnte. Für etwa zwei Stunden würde es noch hell sein, überlegte Dominik.
»Du hier, ich auf der anderen Seite. Wer einen Hinweis erhält, ruft den anderen sofort auf dem Handy an.«
Eine gute Stunde später wartete Dominik in einer Hofeinfahrt auf seine Begleiterin. Er musste gähnen. Bis auf wenige Häuser hatte er das Pensum geschafft, das er sich gesetzt hatte. Es war Zeit, aufzuhören. Eine Wolkenfront hatte es vorzeitig dunkel werden lassen, es würde gleich regnen, vielleicht Gewitter geben.
Er hatte nichts in Erfahrung gebracht, was weiterhelfen konnte. Lediglich ein Mann wollte sich an ein vorbeiradelndes Mädchen erinnern, und einer Frau war das Fahrrad aufgefallen, als es halb auf der Straße gelegen hatte. Sie gab an, mit ihrem Auto angehalten und das Rad beiseitegelegt zu haben, damit es den Verkehr nicht behinderte. Kurz vor Mitternacht sei das gewesen.
Hanna ließ sich nicht blicken. Dominik zog sein Handy aus der Tasche, um ihr das Signal für den Feierabend zu geben.
In diesem Moment rollte ein Auto aus der Einfahrt und ein Bewegungsmelder ließ eine Lampe angehen. Dominik fielen zwei Kameras an der Decke auf. Eine war auf die Durchfahrt und das davor befindliche Stück Straße gerichtet, die andere auf den Parkplatz im Hof.
Dominik schaute sich um. Gelb lackierte DHL-Transporter vor einer Rampe. Die übrigen Plätze nur spärlich belegt. Schilder wiesen darauf hin, dass der Hof videoüberwacht und das Parken auf der anderen Seite nur den Gästen eines Fitnessstudios gestattet war.
Er besah sich das Gebäude von der Straßenseite. Im Erdgeschoss eine Postfiliale, im ersten Stock die Muckibude, die noch geöffnet hatte. Dominik eilte die Treppe hoch, zog eine Tür auf und stand vor einem Drehkreuz, das ihn aussperrte. Er winkte mit seinem Ausweis. Eine Angestellte im roten Sweatshirt ihrer Firma erbarmte sich und entriegelte die Sperre per Knopfdruck.
Er trat zu ihr an den Tresen und sagte seinen Spruch auf. Die Angestellte begutachtete den Ausweis, dann Leonies Bild und schüttelte den Kopf.
Dominik erkundigte sich nach den Überwachungskameras in der Hofeinfahrt.
»Keine Ahnung. Fragen Sie doch die Post.«
Zurück nach draußen. Es hatte zu regnen begonnen. Ein Trommelfeuer dicker Tropfen. So stellte sich Dominik den Monsun in Indien vor. Er hielt sich dicht an der Wand und wurde trotzdem sofort nass.
Die Postfiliale besaß einen separaten Eingang. Ein gerahmter Aushang hinter der Glastür: Morgen früh um halb neun würde die Zweigstelle wieder öffnen.
Dominik stellte sich noch einmal in die Zufahrt, die einzige trockene Stelle weit und breit, exakt unter die Kamera, die auf die Straße zielte.
Hier war Leonie gestern Abend vorbeigekommen.
Wenn sie tatsächlich entführt worden war, gab es nur zwei Möglichkeiten: Der Täter hatte ihr aufgelauert oder sie verfolgt. Im letzteren Fall musste er ebenfalls auf dem Überwachungsvideo zu sehen sein – falls es eines gab und der Bildausschnitt groß genug war.
Aus dem gegenüberliegenden Wohnhaus trat Hanna.
»Bleib!«, rief Dominik in das laute Prasseln. Er lief zu ihr und zog seine Jacke aus, um Hanna auf dem Rückweg zum Auto zu beschirmen. Sie protestierte und lachte. Die Jacke hielt nicht dicht, das Wasser drang durch den Stoff. Sie rannten.
»Genug für heute«, sagte Dominik, als sie eingestiegen waren und er den Motor anließ.
Hanna gab ihm die Marke zurück. »Ich bin hundemüde.«
»Kein Wunder. Wir haben beide in der letzten Nacht nicht viel gepennt.«
Dominik fuhr sie quer durch das Stadtzentrum nach Derendorf und hielt vor dem Haus, in dem ihre Schwester wohnte. Der Regen hatte nachgelassen, die Straße dampfte. Hanna bedankte sich zum Abschied noch einmal.
»Tut mir leid wegen vorhin«, fügte sie hinzu.
»Was meinst
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