Schwarzer Schwan
du?«
»Als ich dich so angeschnauzt habe.«
»Aber du hattest ja recht. Ich interessiere mich tatsächlich für dich.«
Sie sahen sich in die Augen.
»Als Zeugin«, sagte Hanna.
»Auch.«
Es war zwar dunkel, aber Dominik war sich sicher, dass Hannas Augen leuchteten. Er griff in ihr Haar, zog sie heran und sie küssten sich.
Erst zaghaft, dann den verrückten Moment genießend.
Sie liebt ihren Freund nicht, dachte er triumphierend.
Hanna löste sich von Dominik und fragte: »Wie vereinbaren Sie das mit der Strafprozessordnung, Herr Kommissar?«
»Gar nicht, Frau Zeugin«, antwortete er.
Hanna lachte hell.
Das Wasser spritzte unter ihren Sohlen, als sie zur Haustür eilte.
Dominik schwor sich, alles zu tun, um die Nichte dieser Frau zu finden.
45.
Mierscheid verließ das Restaurant und setzte seinen Fußweg fort. Es war noch warm und er hatte es nicht eilig. Er tastete nach dem Handy in seiner Sakkotasche und überlegte, ob er über seinen Schatten springen und Malte anrufen sollte.
So viele Fragen.
Die Nachrichten, die ihm sein Referent aus dem Internet fischte und aus den Zeitungen schnitt, ließen für Mierscheid nur den Schluss zu, dass die Ermittler nicht vorankamen. Der zweite Mord hatte die Schüsse auf Paula bereits von den ersten Seiten verdrängt. Und was hatte Paulas Mitarbeiterin erzählt? Ein Tatzusammenhang: Observierungsfotos, die beim zweiten Opfer gefunden worden waren …
Mierscheid hätte gern mehr darüber gewusst. Aber sowohl die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft als auch die dortige Polizeibehörde hatten ihm jede Auskunft verweigert. Dabei gehörte er dem Deutschen Bundestag an. Ein gewählter Vertreter des Volkes. Nicht einmal Beamte hatten offenbar noch Respekt vor Politikern.
Er hatte Freunde in Neuss angerufen, um etwas über den Suizid von Paulas jüngerer Schwester in Erfahrung zu bringen. Vielleicht lag hierin ein Schlüssel, um Paula zu verstehen: Connis Tod hat etwas aufgeweckt. Jedenfalls kann ich nicht einfach zur Tagesordnung übergehen . Mierscheids eigene Erinnerung an Constanze Busch war nur schwach: ein Talent am Klavier, das an den Nägeln kaute, nicht viel redete und unter den Jungs als zickig verschrien war.
Es hieß, Paulas Schwester habe später einen Fliesenlegermeister namens Kehrein geheiratet und ein Kind bekommen. Carsten Kehrein sei Mitglied der Schützenbruderschaft St. Hubertus. Ein fürsorglicher Vater und Ehemann. Er habe die Stimmungsschwankungen seiner Gattin geduldig hingenommen – aus den Berichten hatte Mierscheid den Eindruck gewonnen, dass Constanze Kehrein, geborene Busch, nicht sonderlich beliebt gewesen war. Wobei das Gerücht ging, sie sei als Mädchen vergewaltigt worden und nie darüber hinweggekommen.
Mierscheid schwitzte schon wieder. Er hielt inne und zog sein Sakko aus. Ihm fiel auf, dass er keine Ahnung hatte, in welcher Straße er sich gerade befand. Irgendwo in Berlin-Mitte, die Richtung stimmte vermutlich noch. Wie wenig er diese Stadt doch kannte! Seinen zweiten Wohnsitz, das Apartment in der Tucholskystraße, erlebte er auch nach neun Jahren noch als Provisorium.
Eine Leuchtreklame lockte Mierscheid. Warum nicht noch etwas trinken? Er betrat die Bar und war sofort von Trubel und Musik umgeben.
Ein seltsames Lokal. Der Boden nackter Beton, vor den Wänden abgeschabte Ledersofas. Tütenlampen warfen Dämmerlicht auf niedrige Beistelltische. Tapeten mit psychedelischen Mustern erinnerten Mierscheid an sein Kinderzimmer in den Siebzigern. An einer Wand hing ein Fernseher. Schwarz-Weiß-Bilder, der Ton auf stumm gestellt: Erik Ode als Der Kommissar. Unglaublich – wer zog sich so etwas noch rein?
Die Gäste waren jung, trugen Jeans und lange Haare. Das bevorzugte Getränk schien Bier aus Flaschen zu sein. Mierscheid erntete Blicke und kam sich wie ein Eindringling vor. Er überlegte, den Laden wieder zu verlassen, doch die Bedienung hatte ihn bereits entdeckt und schlurfte heran. Die Frau trug einen gelben Minirock aus Kunstleder, dazu einen ärmellosen Rollkragenpullover in Laubfroschgrün.
»Bier?«, fragte sie.
»Welche Sorten haben Sie?«
Statt einer Antwort drückte sie ihm eine Flasche in die Hand.
Mierscheid bedankte sich. Er lockerte seine Krawatte und nahm einen Schluck. Erik Odes Agieren auf der Mattscheibe wirkte surreal in Verbindung mit der Musik von Falco, die aus den Lautsprechern tönte. Mierscheid stellte fest, dass ihn das Kneipenvolk in Ruhe ließ, und lehnte sich zurück.
Er kam sich alt vor. Nicht
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