Schwarzer Schwan
Er hatte sie verpasst. Nicht schlimm, dachte Dominik. Anna kann mir ja berichten.
Sie war mit ihrem Handy beschäftigt und zuckte zusammen, als er den Raum betrat. »Wollte dir gerade eine SMS schicken. Wo warst du?«
»Ich hab dir doch erzählt, dass die Nichte von Hanna Kaul verschwunden ist. Vermutlich ist sie entführt worden und …«
»Das ist nicht dein Fall, Dominik, wir haben schon genug zu tun!«
»Wie bist du denn drauf?«
»Du weißt es also noch nicht?«
»Was denn?«
»Scheiße, setz dich.«
Dominik gehorchte.
Anna verschränkte die Arme. »Der Bruder von Sax hat sich gemeldet.«
»Joachim?«
»Es gibt ihn wirklich, aber er wohnt in Weil am Rhein und arbeitet in Basel als Krankenpfleger. Jürgen Sax ist am letzten Donnerstag nach Singen gefahren, weil er dort eine Schulung hatte. Beim Hersteller dieser Kaminöfen, die er vertreibt. Anschließend hat Sax den Bruder besucht. Angeblich sind sie übers Wochenende in die Schweiz gefahren, Bergwandern im Berner Oberland. Und am Sonntagabend …«
Thilo Becker stürmte herein, erkannte Dominik und brummte: »Da ist er ja!« Er gab Anna ein Memo zu lesen und erklärte: »Die Chefin meint, wir sollten noch einmal Neidels Freundin in Ratingen …«
»Liliane Oppers«, sagte Anna. »Ich habe sie schon herbestellt.«
»Prima. Außerdem sollen wir uns stärker mit der Mordkommission Aachener Platz verzahnen. Für Ela sind wir jetzt natürlich die Deppen!« Becker stieß mit dem Zeigefinger gegen Dominiks Brust. »Es geht übrigens nicht, dass du stundenlang der Mordkommission fernbleibst, Kollege Roth. Wo warst du?«
Anna sagte: »Er nennt es Multitasking.«
»Ab sofort nimmst du ihn an die kurze Leine, Anna.« Damit hastete der MK-Leiter davon.
Dominik stieß Luft aus.
»Jetzt weißt du Bescheid«, sagte Anna.
»Was ist mit den Sax-Brüdern?«
»Am Sonntag, zum Zeitpunkt, als Patrick Neidel erschossen wurde und in seinem Polo verbrannte, saß Jürgen Sax mit seinem Bruder und dessen Frau sowie einigen weiteren Bekannten im äußersten Südwesten der Republik in einem Restaurant namens Galileo beim Spaghettiessen. Joachim Sax hat seinen neununddreißigsten Geburtstag gefeiert. Und Jürgen ist erst am Montag nach Düsseldorf zurückgefahren, behauptet der Bruder. Die Kollegen vor Ort überprüfen die Aussage. Aber wir müssen davon ausgehen, dass sie stimmt. Dann ist Sax nicht wegen des Mordes an Patrick Neidel von der Brücke gesprungen, sondern einzig und allein wegen der Bilder auf seinem Laptop.«
»Verdammte Kacke!«
»Das war exakt auch mein erster Gedanke. Wir müssen alles wieder neu aufrollen.«
Damit rückten die Dossiers wieder ins Zentrum des Interesses – meine Verwicklung, dachte Dominik. »Und wieso sind wir nun die Deppen?«
»Du hättest erleben sollen, wie Ela vorhin das ganze Team zusammengefaltet hat. Das Schlimme ist, sie hat recht. Wir hätten es wissen müssen.«
»Woher?«
»Du weißt doch, wie lange es gedauert hat, bis unsere Spezialisten endlich das Passwort des Notebooks geknackt hatten. Wenn Patrick Neidel kein begnadeter Hacker war, und das war er nicht, dann konnte er gar nicht wissen, was auf der Festplatte gespeichert war. Außerdem hätte der Täter zuerst das Gerät in seinen Besitz gebracht, bevor er Neidel töten würde. Nein, wenn der Grund für den Mord in einer von Neidels Erpressungen lag, dann in der zweiten.«
»Oder ganz woanders.« Dominik spielte den Unbedarften, aber ihm war nicht wohl dabei.
»Wir können nur den Spuren nachgehen, die uns vorliegen. Und außer der Klauerei hat nichts was gebracht. Die Kollegen haben sich in den Firmen umgehört, wo Neidel seine Praktika absolviert hat. Sie haben seine Ex befragt, mit der er vor Oppers zusammen war. Familie, Studienkollegen, den gesamten Bekanntenkreis – nichts! Auch die Anrufe aus der Bevölkerung waren ausnahmslos Mist. Die Observierung ist die einzige Spur, die übrig bleibt. Wir müssen die Person kriegen, die diese Fotos geschossen hat. Weißt du, wie ich mir die Sache vorstelle?«
Ein dicker Kloß im Hals. Dominik schüttelte den Kopf.
»Neidel klaut am Flughafen mal wieder eine Tasche mit einem Laptop. Das Gerät ist nicht passwortgeschützt. Neidel druckt aus, was er für interessant hält, um auch nach der Übergabe etwas in der Hand zu haben. Dann setzt er sich mit dem Bestohlenen in Verbindung, sie treffen sich ohne Zeugen, Neidel händigt das Notebook aus und – peng!«
Dominik erinnerte sich an den Zettel mit den beiden
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