Schwarzer Schwan
Gesprächsstoff waren.
Lilly outete sich lieber nicht als Freundin des verbrannten Polofahrers. Sie trauerte still um Patrick. Die Agentur und die neuen Kollegen, die ein Riesenbohei um ihren simplen Entwurf machten – rasch hatte Lilly erkannt, dass ihre wahren Gefühle in diesem Büro keinen Platz hatten.
Eine Welt, die mir zunehmend fremd erscheint.
Werber machten Reklame und taten, als sei es große Kunst. Ziemlich eingebildet, dabei prostituierten sie sich bloß, im Dienst der kapitalistischen Warenwelt. Im schlimmsten Fall halfen sie, Menschen zu betrügen.
Ich schwöre, nicht alles mitzumachen.
Der Kunde, die Düsseldorfer RheinBank AG, plante ein paar besonders erfolgreiche Spezialfonds aufzukaufen und mit der eigenen Investmentsparte zu fusionieren, die ab Herbst unter neuer Flagge segeln und potente Anleger scharenweise locken sollte – zumindest hatte Lilly das Briefing so verstanden. Es sollte ein Überraschungscoup werden. Sämtliche Mitarbeiter waren zu Stillschweigen verpflichtet.
Mit der endgültigen Entscheidung über das Logo würde die RheinBank noch auf sich warten lassen. Korfmacher hatte Lilly erklärt, wie es lief: Auf Kundenseite wollte jede Hierarchieebene etwas anderes, Entscheidungsträger blockierten sich gegenseitig, alle warteten auf ein Wort von ganz oben. Im Wesentlichen gab es zwei Fraktionen – die Marketingleute der in Vorbereitung befindlichen Tochterfirma gegen diejenigen der Zentrale. Der Streit entzündete sich bereits an der Farbgebung: klassisches RheinBank-Rot versus ein warmes, leicht gelbliches Grün, um sich von der Konzernmutter abzugrenzen.
Was heute galt, konnte offenbar morgen wieder über den Haufen geworfen werden – Lilly fragte sich, ob es in der Wirtschaft allgemein so zuging.
Auch die Namensgebung war umstritten. Helios Investments war der wichtigste Fonds, den der Konzern zu kaufen beabsichtigte. Er sollte Kern der Firmengründung werden. Dementsprechend plädierte die Agentur dafür, das Ganze Helios zu nennen – sexy, kurz und knapp. Die Alternative, die aktuell im Raum stand, lautete RheinBank Premium Invest.
Lilly hatte gestern bis fast um Mitternacht unzählige Varianten ihres Entwurfs zu Papier gebracht. Die Strahlen mal kürzer, mal dicker oder trapezförmig aufgefächert. Kombinationen mit den verschiedenen Namen. In Rot und in Grün.
Jeder schien hier so viel zu arbeiten. Alle murrten nur hinter vorgehaltener Hand. Es herrschte pure Ausbeutung. Einen Betriebsrat gab es nicht, allein das Wort war offenbar tabu.
Lilly fügte sich. Noch war sie nur Praktikantin, aber laut Korfmacher lag ihr Arbeitsvertrag seit heute bei der Geschäftsleitung zur Unterschrift. Lilly wollte austesten, was sich ihr bot. Und sobald sie genug angespart hatte, würde sie sich mit einem Designbüro selbstständig machen und nur noch für Kunden arbeiten, die ihr zusagten.
Wie hätte Patrick sich verhalten? Wenn Lilly an ihren toten Freund dachte, schwankte sie zwischen Wut und Verzweiflung. Sie grübelte, was geschehen wäre, wenn sie ihn am Sonntagabend begleitet hätte. Läge sie dann ebenfalls als Brandleiche im rechtsmedizinischen Institut? Oder hätte sie den Mord verhindern können?
Ich werde noch ganz kirre.
Das Telefon auf ihrem Tisch klingelte.
Silvia vom Empfang war dran, eine herbe Person mittleren Alters, die mit Leidenschaft Gift versprühte.
»Was will denn die Polizei von dir?«, fragte sie.
»Wie meinst du das?«
»Ich stell durch.«
Ein Klicken.
»Ja?«, meldete sich Lilly.
Nicht schon wieder die Bullen.
»Anna Winkler, Kripo Düsseldorf. Spreche ich mit Liliane Oppers?«
»Was gibt’s?«
»Wir müssen noch einmal mit Ihnen reden. Wann passt es am besten?«
»Nächste Woche, vielleicht am Mittwoch.«
Bis dahin wollte sich der Kunde entschieden haben.
»Nein, heute.«
Etwas verkrampfte sich in Lillys Innerem. »Muss das sein?«
»Wir können auch zu Ihnen ins Büro kommen, wenn Ihnen das lieber ist.«
»Nein danke, schon gut. Um halb eins bin ich da.«
Die Kommissarin kann mir nichts nachweisen, sagte sich Lilly. Und in der Agentur würde kein Mensch etwas mitbekommen. Sie musste nur die Fragespielchen der Bullen innerhalb der Mittagspause über die Bühne bringen.
49.
Dominik fand Anna im Besprechungsraum der Mordkommission. Eine vollgekritzelte Tafel, Stellwände mit zahllosen Hinweismeldungen. Zusammengeschobene Tische, gut zwanzig Stühle rundherum – stumme Zeugen einer Sitzung, die offenbar gerade stattgefunden hatte.
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