Schwarzer Schwan
Sportliche Statur, glattes Gesicht – Mierscheid fragte sich, ob es geliftet oder mit Botox behandelt war.
Dingendorff gab ihm die Hand und nickte zu Paulas Grab hin. »Ein schwerer Tag.«
»Offenbar für uns beide«, antwortete Mierscheid.
»Möge ihr Mörder in der Hölle schmoren.«
»Das könnte ich nicht schöner ausdrücken.«
Dingendorff musterte ihn, dann sagte er: »Wir sehen uns morgen Abend.«
Er gab Mierscheid einen Klaps auf die Schulter und zog mit seinem Gefolge ab.
54.
Der Dreckskerl ist zurückgekommen und füllt den Kühlschrank auf. Er hat die Decke ausgetauscht, den Eimer geleert und endlich eine Waschschüssel mitgebracht. Und einen Gettoblaster.
Er legt eine CD ein.
Oops! … I Did It Again – das blöde Stück hat mir noch nie gefallen.
Er sagt, er meine es gut mit mir. Er wolle mich erziehen. Wenn ich gehorche, würde er mich eines Tages von der Kette nehmen. Ich dürfte zur Belohnung nach oben und auch mal an die frische Luft.
Ich komme mir vor wie ein Stück Vieh, das dressiert werden soll.
Beim geringsten Anlass wird er mich wieder schlagen, da bin ich mir sicher. Auf keinen Fall darf er entdecken, dass ich angefangen habe, unter der Pritsche ein Loch zu graben.
Hit me, baby, one more time.
Sein Keuchen. Seine verschwitzten Hände. Das blöde Tattoo, an dem mein Blick hängen bleibt. Kleine Flammen, die sich zum Kreis anordnen. Eine Art Sonne, mit dem Nabel als Zentrum. Das Schwein nennt mich »Goldschatz« und »meine Tochter«, aber das bin ich nicht.
Ich bin nicht hier. Mir passiert das nicht. Ich bin weit, weit weg …
Bei Mama, bei Tante Hanni, bei meinen Freundinnen …
Teil IV – Die kleine Sonne
Teil IV
Die kleine Sonne
55.
In den Sechzigern waren solche Bungalows vermutlich der letzte Schrei gewesen. Das Haus hatte ein Flachdach mit einer Kante aus schwarzen Schieferschindeln. Hellgraue Platten bildeten die Wandverkleidung, deutlich gezeichnet vom sauren Regen und der Zeit. Drei winzige Fenster zur Straßenseite und der Eingang, der aus Glasbausteinen vor die Fassade gesetzt worden war, ließen das Haus nicht einladender wirken. Dominik musste an Asbest denken, an braune Kacheln und Gelsenkirchener Barock im Inneren.
Er hatte seinen Honda mit einigem Abstand geparkt und fragte sich, ob hier das Zuhause eines Mörders war, am Rand von Haan-Ost zwischen Industriepark und Naturschutzgebiet Ittertal, die Adresse von Uwe Heller, der am letzten Freitag für Urban Ermittlungen gearbeitet hatte, als Subunternehmer, wie Jochen es bezeichnet hatte.
Inzwischen hatte Dominik mehr über den Mann herausgefunden. Bis vor gut zwei Jahren waren sie Kollegen gewesen, ohne sich je begegnet zu sein. Heller hatte dem Mobilen Einsatzkommando in Düsseldorf angehört, demnach prädestiniert für Observierungsjobs. Er war vorzeitig in Ruhestand gegangen, wegen eines Rückenleidens, wie es hieß, und besserte seine Pension auf, indem er als Detektiv arbeitete. Dafür hatte er sogar einen Gewerbeschein erworben und eine Firma gegründet, war also nicht allein für Jochen Urban unterwegs.
War er der ›Otto‹, den Patrick Neidel und Lilly Oppers bestohlen hatten?
Bei dem einen bin ich mir nicht sicher.
Dominik beschloss, sich ein wenig umzuschauen, und stieg aus.
Gestutzter Rasen im Vorgarten. An der Pforte im Zaun ein weißer Klingelknopf ohne Namensschild. Den Blick auf den Rest des Grundstücks verwehrte eine Hecke.
Die Doppelgarage sah aus, als sei sie nachträglich angebaut worden. Die Fläche davor war gepflastert und von Betonkübeln gesäumt, in denen sorgfältig gestutzte Buchsbäumchen wuchsen. An der Dachkante konnte Dominik Scheinwerfer ausmachen. Vermutlich gab es einen Bewegungsmelder, der bei Dunkelheit ansprang, sobald man sich näherte.
Ringsum Gärten mit alten Bäumen, zum Teil verwildert. Kein Haus glich dem anderen in Stil und Größe. Eine ruhige Siedlung – das einzige Geräusch war das entfernte Summen der Autobahn, die nach Wuppertal führte.
Dominik schlenderte zum Auto zurück. Das Handy klingelte. Er kramte es hervor. Anna.
»Wie sieht’s aus?«, erkundigte sie sich.
»Traumhaft.«
Ein brauner Geländewagen der Marke BMW rollte an Dominik vorbei und hielt vor Hellers Garageneinfahrt. Eine Frau stieg auf der Beifahrerseite aus und schloss das Tor auf. Dominik griff mit der freien Hand nach seinem Fernglas und linste aus seinem Honda hinüber. Hellers Frau Linda: blond, groß und schlank, vielleicht etwas über vierzig Jahre alt, aus der Distanz
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