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Schwarzer Schwan

Schwarzer Schwan

Titel: Schwarzer Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Eckert
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Kehrein trat ans Pissbecken, zog den Reißverschluss auf und ließ es plätschern.
    »Paula hat Conni ausgenutzt, damit Sie’s wissen, Herr Mierscheid«, sagte er über seine Schulter hinweg. »Meine Frau wäre heute noch am Leben, wenn das verdammte Luder sie damals nicht gefragt hätte.«
    Mierscheid platzte der Kragen. Paula am Tag ihrer Beisetzung so zu beleidigen. Er stieß den Witwer gegen die Wand, rammte seine neunzig Kilo gegen den hageren Kerl und drückte Kehreins Gesicht mit beiden Händen gegen die Fliesen. »Halt deine dämliche Fresse! So etwas sagst du nie wieder!«
    Dann ließ er ihn los und stürmte hinaus.
    Im Flur besann er sich und machte noch einmal kehrt.
    Kehrein stand vor dem Spiegel und tastete seine gerötete Wange ab. Als er bemerkte, dass Mierscheid erneut im Raum stand, wich er in eine der Kabinen zurück.
    »Sie sind ja völlig übergeschnappt!«, protestierte er.
    »Wo ist das eigentlich passiert?«, fragte Mierscheid.
    »Was?«
    »Damals, vor zwanzig Jahren. Constanzes Vergewaltigung. Sie haben vorhin von einem Schloss gesprochen!«
    »Na, auf Schloss Schassberg, das dieser Bank gehört.«
    Mierscheid wollte noch einmal zu Paula, um ihr quasi unter vier Augen Adieu zu sagen. Die Grevenbroicher Senioren-Union konnte warten. Er überquerte die Straße und betrat den Friedhof. Im Schatten der Bäume war es angenehm kühl, eine leichte Brise kam auf.
    Sein Magen hatte sich etwas beruhigt.
    Unter seinen Sohlen knirschte der unbefestigte Weg. Mierscheid beschloss, morgen noch einmal in Düsseldorf anzurufen und der Polizei auf die Nerven zu gehen. Dem Kripochef oder dem Präsidenten persönlich. Der verbitterte Fliesenleger, der unbekannte Geliebte, das Tagebuch, das die Mutter angeblich verbrannt hatte – wichtige Spuren, fand Mierscheid.
    Noch einmal das Handy. Mierscheid ging ran.
    Volker Paschkes Ruhrgebietsorgan: »Hör mal, die Kanzlerin ist voll am Durchdrehen.«
    »Bitte?«
    »Wir müssen etwas tun, sie will tatsächlich den Ausstieg forcieren«, bellte der Fraktionskollege. »Stell dir den Unsinn vor: acht von siebzehn Kernkraftwerken für immer vom Netz! Und das, wo wir gerade die Laufzeitverlängerung beschlossen haben. Sie will die Industrie dazu zwingen. Ist das noch unsere CDU? Es gab bereits ein Geheimtreffen mit Seehofer und …«
    »Es passt jetzt wirklich schlecht, Volker. Ich rufe dich zurück.« Mierscheid schaltete das Gerät aus.
    Eine Rentnerin schob ihr Rad den Weg entlang. Zwei Gießkannen am Lenker, Wasser tropfte herab. Eine andere Alte kniete vor einem Grabstein und zupfte Unkraut aus der Erde. Nur Greise schienen sich um die Toten zu kümmern – als bereiteten sie sich auf ihre eigene letzte Reise vor.
    Als Mierscheid den Gang erreichte, an dem Paulas Grabstelle lag, bemerkte er, dass jemand auf die gleiche Idee gekommen war wie er.
    Ein Mann in einem eng geschnittenen, dunklen Anzug stand reglos bei den Kränzen. Die graue Künstlermähne war Mierscheid gut bekannt. Im Hintergrund warteten zwei Bodyguardtypen.
    Mit wenigen Schritten ging Mierscheid hinter einem Rhododendronstrauch in Deckung. Neugierig lugte er zwischen den Zweigen hervor. Der Abstand betrug keine dreißig Meter.
    Der Mann am Grab verharrte eine Weile, dann warf er seinen Blumenstrauß in das Loch und wandte sich den Gorillas zu.
    Mierscheid sah ihm ins Gesicht. Ja, er war es. Der Mann, der die Strippen zog. In Gedanken hörte Mierscheid Sandra Apitz, Paulas Assistentin: Chauffeur und Jacht und Privatjet. So einem gibt man doch nicht den Laufpass!
    Verwirrt trat Mierscheid tiefer ins Gestrüpp. Dabei stieß er gegen eine leere Kanne, die polternd umfiel.
    »Was machen Sie hier?«, fuhr ihn eine brüchige Stimme an.
    Mierscheid wandte sich um.
    Eine alte Dame schwang ihre Harke. »Sind Sie der Kerl, der hier die Grablichter klaut?«
    Mierscheid hob seine leeren Hände, als könne er auf diese Art seine Unschuld beweisen.
    »Ich kenn Sie doch!«, keifte die Alte. »Was fällt Ihnen ein, auf dem Grab meines Mannes herumzutrampeln?«
    Mierscheid floh zurück auf den Weg und stellte erleichtert fest, dass ihm die Frau nicht folgte. Dafür lief er dem Mann mit der grauen Mähne in die Arme.
    Sie blieben stehen. Einer der Bodyguards unterbrach sein Handygespräch. Der andere verschränkte die Hände vor seinem Schritt.
    »Tag, Herr Dingendorff«, grüßte Mierscheid.
    Der Vorstandsvorsitzende der RheinBank war jünger, als ihn seine vorzeitig ergrauten Haare auf Fotos manchmal wirken ließen.

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