Schwarzer Schwan
Mierscheid öffnete die Tür und fand sich nach wenigen Schritten in einer schwülen Hölle aus Lärm und Gedränge wieder. Die Parteijugend bildete unter den Gästen nur eine Minderheit, doch sie empfing ihn mit Gejohle, als sei er ein Popstar.
Mierscheid ließ beim DJ Billie Jean in Auftrag geben und nahm sich vor, nur zu diesem einen Stück zu tanzen. Er spürte die Bässe in seinen Eingeweiden. Man konnte sich kaum unterhalten. Wenn er hier wieder herauskam, würden seine Ohren klingeln. Was tat man nicht alles für ein paar Wählerstimmen.
Die jungen Leute zückten ihre Handys, um die News vom ungelenk zappelnden Bundestagsabgeordneten über Twitter und Facebook zu verbreiten. Mierscheid fragte sich unterdessen, ob er sein Auto abgeschlossen hatte. Das fehlte noch, dass jemand Paulas Aufzeichnungen klaute.
Er probierte den Moonwalk. Drei Mädels umtanzten ihn, das restliche Volk bildete einen Kreis und klatschte den Rhythmus mit.
Als der Song zu Ende war, sprach ihn eine der drei jungen Frauen an – weil bereits das nächste Stück einsetzte, musste sie ihm dabei sehr nahe kommen.
»Mein Name ist Annika. Ich habe mich um ein Praktikum bei Ihnen beworben.«
»Dann sind Sie die Freundin von meinem Referenten?«
»Hat er das behauptet?«
Ihre Blicke trafen sich. Annika zeigte ein sympathisches Lächeln.
»Berlin stelle ich mir spannend vor«, sagte sie so dicht an seinem Ohr, dass er ihren Atem spürte.
Mierscheid überlegte, ob er das Mädel in sein Bett quatschen könnte, wenn sie erst einmal in der Hauptstadt war. Er legte seine Hand auf ihren Arm. »Rufen Sie gleich morgen mein Büro an.«
Aus den Boxen wummerte und jaulte das Eddie-Van-Halen Solo von Thriller. Gut gelaunt spielte Mierscheid die Luftgitarre – zum Entzücken des Jungvolks.
Dann zog er sich zurück. Ab nach Hause.
Ein Glas Rotwein, das Tagebuch. Paulas Sicht der Dinge und vielleicht die Erklärung für ihren Tod.
Mierscheids Wagen flog über die A 57. Es konnte ihm nicht schnell genug gehen.
61.
Dominik war spät dran. Er hastete die Treppe hoch, schloss seine Wohnung auf und zog sich beim Hineingehen das verschmutzte Sweatshirt über den Kopf. Im Bad entledigte er sich der restlichen Kleidung und sprang unter die Dusche. Keine Zeit für eine Rasur. Deo und ein Spritzer Eau de Toilette mussten genügen.
Im Schlafzimmerschrank kramte er nach frischen Klamotten. Sein Blick fand Nellys Foto. Die Expertin in Modefragen. Alle seine schickeren Sachen hatte sie ausgesucht.
Er musste daran denken, wie es mit ihnen begonnen hatte: Gekko Beach im Sommer, ein Flirt mit den Augen über mehrere Tische hinweg, dann die ersten Worte, als sie sich wie zufällig an der Selbstbedienungstheke trafen. Es hatte sofort gefunkt. Sie waren nicht mehr zu ihren jeweiligen Freunden zurückgekehrt, sondern hatten sich mit ihren Getränken einen freien Strandkorb abseits des Trubels gesucht.
Auch Gekko Beach gab es nicht mehr. Anstelle des legendären Biergartens am Rheinhafen hatte man einen schicken Betonklotz errichtet, dessen Vermietung an einen Hotelkonzern deutlich mehr Rendite abwarf.
»Tschüs, meine Gute«, sagte er zu Nelly. »Wünsch mir viel Glück!«
In dem Moment klingelte sein Handy.
Hanna.
»Sei mir nicht böse, aber mir ist doch nicht mehr danach, unter Leute zu gehen.«
»Das kann ich verstehen.« Dominik versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anhören zu lassen.
»Deswegen hab ich eine Flasche Wein mitgebracht«, sagte Hanna. »Machst du mir auf?«
»Bitte?«
»Ich stehe unten vor deiner Haustür.«
Dominik rannte zur Gegensprechanlage, drückte den Knopf, lief zurück ins Schlafzimmer, warf die umherliegenden Kleidungsstücke in den Schrank, Licht aus, Tür zu. Er hetzte wieder an die Wohnungstür.
Schritte auf der Treppe. Sie war es tatsächlich.
»Willkommen.«
Hanna stellte die Flasche ab, Weißwein. Sie zog ihr dünnes Jäckchen fest zusammen, als friere sie. Ihre Augen schimmerten.
Sie fiel ihm um den Hals. Dominik überraschte die Heftigkeit, mit der sie sich an ihn presste. Ihr heiseres Flüstern: »Was hast du nur angestellt?«
»Wie meinst du das?«
»Du kommst in mein Büro, und von dem Moment an bin ich Zeugin in einem Mordfall, werde verfolgt und belauscht und meine Nichte verschwindet …«
Sie unterbrach sich. Ihre Lippen auf seinen, ihre Zunge an seiner, fast wie ein Zusammenprall. Dann löste sie sich und musterte ihn.
»Diese Leute sind immer noch hinter mir her, ich bin mir sicher.«
Er wollte
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