Schwarzer Skorpion - Thriller (German Edition)
dass es ein kleiner schwarzer Skorpion war, der vor dem Lärm Zuflucht in ihrer Kiste suchte. Stella begann am ganzen Körper zu zittern, konnte nicht damit aufhören und ein Kälteschauer durchflutete sie. Krampfhaft versuchte sie an glückliche Tage zu denken, versuchte ihren Gedanken eine positive Wendung zu geben, aber immer zerstörte das Bild von Pierre, der ihr mit einem Faustschlag die Nase gebrochen hatte, diese lebensrettende Idylle.
Als der schwarze Skorpion im Inneren der Kiste langsam ihre Hüfte entlang nach unten wanderte, musste sich Stella vor Angst übergeben, erstickte fast an dem Erbrochenen, doch die gallenartige Flüssigkeit aus ihrem Magen sickerte zwischen dem brüchig gewordenen Pflaster ihr Kinn hinunter und verhinderte so, dass sie starb.
Der Skorpion war durch Stellas Bewegungen aufgescheucht worden und bereitete sich auf einen Kampf vor. Vorsichtig kroch er über Stellas Jeans nach oben, krabbelte dann ihre Hüfte entlang, angelockt durch den Angstschweiß von ihrer Haut. Unruhig kroch er am Saum ihrer Tunika entlang, versuchte, darunter an die Haut zu gelangen, um sich bis zu ihren schweißnassen Achselhöhlen vorzuarbeiten und dort zu verstecken.
Draußen war das Geschrei der ballspielenden Kinder von lautem Motorlärm übertönt worden und Stella konnte das Geknatter im ersten Moment nicht einordnen, obwohl sie dieses Geräusch schon oft gehört hatte. Doch dann fiel es ihr ein, dass es sich wie der Rotor eines Hubschraubers anhörte, der gerade im Begriff war, auf dem Gelände vor der Halle zu landen. Stellas Herz begann vor lauter Aufregung wie verrückt zu pochen. Doch anstatt ruhig und gleichmäßig zu atmen, um den Skorpion nicht zu erschrecken, sog atmete sie hektisch ein und aus, versuchte, mit der Zungenspitze das brüchige Pflaster zu durchstoßen, um laut um Hilfe schreien zu können. Ruckartig bewegte sie den Kopf vor und zurück, bemühte sich auch, die Hände aus den Paketklebebändern zu zwängen, den Kistendeckel aufzubrechen, um dann nach draußen zu laufen, wo aus dem gerade landenden Hubschrauber ihr Vater sprang und sie fest in seine Arme drückte.
Doch diese Szene lief bloß vor Stellas geistigem Auge ab, denn in dem Augenblick, da sie das Pflaster mit der Zungenspitze durchstoßen hatte, als draußen vor der Stahltür ein Hund laut zu bellen begann und mit seinen Pfoten an dem stabilen Tor kratzte, das Bellen in ein aufgeregtes Winseln überging, in diesem Augenblick war es dem kleinen schwarzen Skorpion gelungen, unter die Tunika von Stella zu schlüpfen und auf ihrer nackten Haut nach oben zu krabbeln.
25. München – Einkaufszentrum
Tag 5, vormittags
Laurenz Heisenberg konnte sich nicht mehr erinnern, wann ihm das Handy zugesteckt worden war. Alles, was er wusste, war, dass er nach seiner Befragung durch die Beamten des Geheimdienstes ziellos durch die Straßen gelaufen war und sich Vorwürfe machte, das Leben seiner Tochter so leichtfertig aufs Spiel gesetzt zu haben. Irgendwann war er in einem Einkaufszentrum gelandet, als es in seiner Manteltasche geklingelt hatte. In dem ganzen Trubel, der dort herrschte, hatte ihm jemand ein billiges Prepaid-Handy unauffällig in die Tasche gesteckt und Heisenberg hatte es erst entdeckt, als es in seiner Manteltasche klingelte. Der Anruf hatte nicht länger als fünf Sekunden gedauert, fünf Sekunden, die ihm keine Zeit ließen, sich nach dem Verbleib seiner Tochter Stella zu erkundigen. Fünf Sekunden, in denen er eine eiskalte Stimme nur „Handy eingeschaltet lassen!“ sagen hörte, die seine Ungewissheit noch verstärkte und ihn beinahe in den Wahnsinn trieb.
Als das Prepaid-Handy erneut klingelte, war kein Anrufer in der Leitung, sondern es war ein Foto, das ihm geschickt worden war. Es zeigte das blutige und vollkommen verdreckte Gesicht seiner Tochter Stella. Ihr Gesicht war seitlich zur Kamera gedreht, sodass ihre Augen deutlich zu erkennen waren. Als Heisenberg den todgeweihten Blick seiner Tochter sah, musste er sich auf eine Bank im Einkaufszentrum setzen und er begann zu weinen.
Er brachte es nicht über das Herz, das Foto ein zweites Mal zu betrachten, sondern steckte das Handy mit spitzen Fingern in seine Tasche, so als wäre es verseucht – und das war es in Wahrheit ja auch. Es war verseucht mit einem Foto von Terror und Gewalt, von Erniedrigung und Demütigung. Während er regungslos auf der Bank saß und die Passanten mit nassen Augen anstierte, ohne sie wirklich zu registrieren, konnte er
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