Schwarzer Sonntag
nur noch von Fetzen umhüllten Arm seiner Mutter, der vor seinen Augen hin und her schwang, während sie voranging und ihn hinter sich her zog. Und er erinnerte sich auch noch an ihr vom Fieber glühendes Gesicht, wenn sie ihn und seine Schwester weckte, ehe das erste Tageslicht den Graben erreichte, in dem sie schliefen.
In Triest hatte sie ihre Kinder zu einer Hilfsstelle der zionistischen Untergrundbewegung gebracht und war dann in einem Torbogen auf der anderen Seite der Straße gestorben.
David Kabakov und seine Schwester gelangten 1946 nach Palästina, und hier hatte ihre Flucht ein Ende. Mit zehn Jahren war Kabakov bereits Kurier für den Palmach und kämpfte bei der Verteidigung der Straße von Tel Aviv nach Jerusalem.
Nach 27 Jahren Krieg kannte Kabakov besser als die meisten anderen Menschen den Wert des Friedens. Er haßte die Araber nicht, aber er war überzeugt, daß es »absolute Scheiße« sei, mit der El-Fatah verhandeln zu wollen. Das war der Ausdruck, den er gebrauchte, wenn seine Vorgesetzten ihn nach seiner Ansicht darüber fragten, was nicht oft geschah.
Beim Mossad betrachtete man Kabakov als einen guten Nachrichtenoffizier, aber seine Leistungen im aktiven Kampf waren so bemerkenswert, und er hatte bei Kommandounternehmen so große Erfolge erzielt, daß man ihn nicht hinter einen Schreibtisch setzen mochte. Da er bei bestimmten Einsätzen gefangengenommen werden konnte, war er von den Beratungen zwangsläufig ausgeschlossen. Er gehörte zum Exekutionskommando des israelischen Geheimdienstes. Wieder und immer wieder holte er zum Schlag gegen die Stützpunkte der El-Fatah im Libanon und in Jordanien aus, und im innersten Kreis des Mossad nannte man ihn »die Endlösung«.
Niemand hatte ihm das je ins Gesicht gesagt.
Die Lichter von Washington kreisten unter der Tragfläche. Die Boeing ordnete sich in das Warteschleifensystem über dem National Airport ein. Kabakov erkannte das Kapitol, das nackt und weiß im Licht der Scheinwerfer emporragte. Er fragte sich, ob das Kapitol wohl das Ziel der Terroristen war.
Die beiden Männer, die in dem kleinen Sitzungssaal der israelischen Botschaft warteten, sahen Kabakov aufmerksam an, als er mit Botschafter Yoachim Tell eintrat. Beim Anblick des israelischen Majors fühlte sich Sam Corley vom FBI an den Ranger-Captain erinnert, der vor zwanzig Jahren in Fort Benning sein Kommandeur gewesen war.
Fowler, Beamter der CIA, hatte nie beim Militär gedient. Ihn erinnerte Kabakov eher an eine Bulldogge. Beide Männer hatten eilig zusammengestellte Dossiers über den Israeli gelesen, aber die Unterlagen beschäftigten sich hauptsächlich mit dem Sechs-Tage-Krieg und dem Oktober-Krieg. Es waren alte Xerographien aus der Nahostabteilung der CIA. Zeitungsausschnitte. »Kabakov, der Tiger vom Mitla-Paß« - Journalismus.
Botschafter Tell, der gerade erst eine Abendveranstaltung in der Botschaft hinter sich hatte und noch seinen Smoking trug, stellte die Männer einander kurz vor.
Dann wurde es still im Raum, und Kabakov drückte auf den Knopf seines kleinen Tonbandgeräts. Die Stimme von Dahlia Iyad durchbrach die Stille. »Bürger Amerikas ...«
Nach dem Abspielen der Bandaufnahme ergriff Kabakov das Wort. Er sprach langsam und bedächtig, behutsam seine Worte wählend. »Wir glauben, daß Ailul al Aswad - der ›Schwarze September‹ - sich darauf vorbereitet, in den Vereinigten Staaten zuzuschlagen. Diesmal sind die Terroristen nicht an Geiseln oder Verhandlungen oder revolutionären Gesten interessiert. Sie wollen ein Maximum an Opfern - sie wollen Ihnen einen Schock versetzen. Wir nehmen an, daß die Planungen bereits weit fortgeschritten sind und daß diese Frau zu den Hauptakteuren gehört.« Er machte eine Pause. Dann fuhr er fort: »Wir halten es für wahrscheinlich, daß sie sich in diesem Augenblick in den Vereinigten Staaten aufhält.«
»Dann müssen Sie doch Informationen haben, die das, was aus dem Bandtext hervorgeht, ergänzen«, sagte Fowler.
»Es wird durch die Tatsache ergänzt, daß wir wissen, daß sie hier zuschlagen wollen, und durch die Umstände, unter denen das Band gefunden wurde«, sagte Kabakov.
»Sie haben das Band in Nadscheers Wohnung gefunden, nachdem Sie ihn getötet hatten?«
»Ja.«
»Und Sie haben ihm vorher keinerlei Fragen gestellt?«
»Nadscheer Fragen zu stellen wäre sinnlos gewesen.«
Sam Corley sah den zornigen Ausdruck in Fowlers Gesicht. Corley warf einen Blick auf die Akte, die vor Fowler lag. »Warum vermuten Sie,
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