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Schwarzer Sonntag

Schwarzer Sonntag

Titel: Schwarzer Sonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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seiner Kindheit, der Aldrich-Blimp. Er sah, wie es am blauen Himmel hinter der starren Spitze des Denkmals gleich einem Delphin mit einer sanften Bewegung aufstieg, und er umklammerte das Ende der Bank, als sei es das Höhensteuerrad. Das Luftschiff drehte sich, drehte sich schneller, als der Wind auf die Steuerbordseite traf, und trieb ein wenig ab. Summend zog es über ihn hinweg. Hoffnung schwebte durch die klare Frühlingsluft auf Lander herab.
Bei der Aldrich Company war man froh, als Michael Lander sich bewarb. Falls man dort überhaupt wußte, daß er 98 Sekunden lang auf dem Fernsehschirm erschienen war und sein Land denunziert hatte, so erwähnte man es jedenfalls nicht. Man stellte fest, daß, er ein hervorragender Pilot war, und das genügte.
Er hatte vor dem Flugtest die halbe Nacht lang gezittert. Margaret befürchtete das Schlimmste, als sie ihn mit dem Wagen zum Flugplatz Lakehurst brachte, der nur acht Kilometer von ihrem Haus entfernt war. Sie hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Schon während er auf das Luftschiff zuging, war Lander wie verwandelt. Das alte, vertraute Hochgefühl durchflutete ihn, verlieh ihm Kraft und Sicherheit, und seine Hände wurden ruhig.
Das Fliegen war eine wunderbare Therapie für ihn. Dennoch nahmen die Demütigungen, die er in Hanoi und Washington erfahren hatte, im Herbst und Winter 1973 in seiner Vorstellung immer größere Ausmaße an. Der Gegensatz zwischen dem Bild, das er selbst von sich hatte, und der Art, wie er behandelt worden war, wurde für ihn immer krasser, immer unerträglicher.
Sein Selbstvertrauen war nicht stark genug, um ihn durch die Stunden der Dunkelheit zu tragen. Er schwitzte, er träumte, er blieb impotent. In der Nacht sprach das Kind in ihm, das hassende Kind, dessen Haß von all dem Leid immer aufs neue genährt wurde. Flüsternd sagte es zu dem Mann in ihm: »Und was hat es dich noch gekostet? Was noch? Margaret wirft sich im Schlaf hin und her - was bedeutet das? Ob sie nicht vielleicht doch schwach geworden ist, während du fort warst?«
»Nein.«
»Frag sie doch, du Dummkopf.«
»Ich brauche sie nicht zu fragen.«
»Du lächerlicher Schlappschwanz.«
»Sei still.«
»Während du in einer Zelle geschrien hast, hat sie es mit einem andern getrieben.«
»Nein. Nein. Nein. Nein. Nein.«
»Frag sie doch!«
Er fragte sie an einem kalten Oktoberabend. Tränen traten ihr in die Augen, und sie verließ das Zimmer. Schuldig? Nicht schuldig?
Der Gedanke, sie sei ihm vielleicht untreu gewesen, ließ ihn nicht mehr los. Er fragte ihren Apotheker, ob ihr Rezept für Antibabypillen in den letzten zwei Jahren regelmäßig erneuert worden sei, und bekam zur Antwort, das gehe ihn nichts an. Wenn er nach einem erneuten Versagen schlaflos neben ihr lag, stellte er sich selbstquälerisch vor, wie sie mit anderen Männern schlief. Manchmal waren es seine ehemaligen Mitschüler Ives und Atkins junior, der eine auf Margaret, der andere wartend, daß er an die Reihe kam.
Er lernte, ihr aus dem Wege zu gehen, wenn er zornig oder mißtrauisch war, und er verbrachte ganze Abende grübelnd in der Werkstatt seiner Garage. Manchmal versuchte er sich unbekümmert mit ihr zu unterhalten. Er täuschte Interesse für ihren Tagesablauf vor oder erkundigte sich, wie die Kinder in der Schule zurechtkämen.
Margaret ließ sich von seinem besseren Befinden und seinem beruflichen Erfolg täuschen. Sie glaubte, er sei wieder völlig gesund. Sie versicherte ihm, seine Impotenz werde sich geben. Der Berater von der Navy habe vor seiner Heimkehr mit ihr darüber gesprochen, sagte sie. Sie gebrauchte das Wort Impotenz.
Die erste Frühjahrstour des Luftschiffs im April 1974 beschränkte sich auf den Nordosten, und Lander konnte zu Hause wohnen. Als nächstes war ein Flug die Ostküste hinunter nach Florida angesetzt. Er würde drei Wochen unterwegs sein. Ein paar von Margarets Freunden gaben zufällig am Abend vor seinem Abflug eine Party und hatten die Landers eingeladen. Lander war in guter Stimmung und meinte, sie sollten doch ruhig hingehen.
Es war ein netter Kreis von acht Ehepaaren. Nach dem Abendessen wurde getanzt. Lander tanzte nicht. Mit fieberheißer Stirn redete er auf eine Gruppe unfreiwilliger Zuhörer ein. Er sprach über die Ballonett- und Ventilatorensysteme in Luftschiffen. Margaret unterbrach seinen Redeschwall und zeigte ihm, um ihn abzulenken, den Patio. Als sie wieder hereinkamen, hatte sich das Gespräch dem professionellen Football zugewandt. Aber Lander

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