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Schwarzer Sonntag

Schwarzer Sonntag

Titel: Schwarzer Sonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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ich das Datum errechnen. Ich könnte es sozusagen an der Wand ablesen.
    Landers Rückkehr brachte für Margaret Probleme mit sich. Sie hatte in seiner Abwesenheit angefangen, sich mit anderen Menschen ein anderes Leben aufzubauen, und dieses Leben wurde nun unterbrochen, als sie ihn nach Hause holte. Wahrscheinlich hätte sie ihn, wenn er 1968 nach seiner zweiten Dienstzeit zurückgekommen wäre, gleich verlassen, aber sie wollte nicht die Scheidung einreichen, solange er in Gefangenschaft war. Sie wollte fair sein, und sie mochte ihn nicht sitzenlassen, solange er krank war.
    Der erste Monat war schrecklich. Lander war äußerst nervös, und die Tabletten halfen nicht immer. Er konnte keine geschlossenen Türen ertragen, nicht einmal bei Nacht, und nach Mitternacht wanderte er durchs Haus, um festzustellen, ob auch wirklich alle Türen offen waren. Zwanzigmal am Tag ging er an den Kühlschrank, um sich zu vergewissern, daß er bis obenhin gefüllt war. Die Kinder behandelten ihn höflich, aber sie sprachen immer nur über Leute, die er nicht kannte.
    Er kam allmählich wieder zu Kräften und sprach davon, in den aktiven Dienst zurückzukehren. Auf seinem Krankenblatt im St. Alban’s Hospital war vermerkt, daß er in den ersten zwei Monaten 18 Pfund zugenommen hatte.
    Aus den Akten des Vorsitzenden des Obersten Kriegsgerichts der Navy geht hervor, daß Lander am 24. Mai zu einem internen Hearing vorgeladen wurde, um Stellung zu nehmen zu den von Colonel Ralph DeJong gegen ihn erhobenen Anschuldigungen, er habe mit dem Feind zusammengearbeitet.
    In dem Verhandlungsprotokoll heißt es, daß als Beweisstück Nr. 7 ein Ausschnitt aus einem nordvietnamesischen Propagandafilm gezeigt und daß gleich danach die Verhandlung auf Antrag des Beschuldigten für fünfzehn Minuten unterbrochen wurde. Anschließend wurden die Aussagen des Beschuldigten und DeJongs gehört.
    An zwei Stellen steht in dem Protokoll, daß der Beschuldigte den Hearings-Ausschuß mit »Mam« anredete. Diese Anrede wurde sehr viel später von der Untersuchungskommission als ein bei der Abschrift des Protokolls entstandener Tippfehler angesehen.
    Angesichts der hervorragenden Leistungen des Beschuldigten vor seiner Gefangennahme und der Auszeichnung, die er für seinen mutigen Versuch, die Besatzung der abgeschossenen Phantom zu retten, erhalten hatte, der dann ja zu seiner Gefangennahme führte, neigten die Offiziere bei der Verhandlung zur Nachsicht.
    Dem Protokoll ist ein von Colonel DeJong unterzeichnetes Memorandum beigefügt. Darin erklärt der Colonel, daß er angesichts des ausdrücklichen Wunsches des Verteidigungsministeriums, nichts über die schlechte Führung einiger amerikanischer Kriegsgefangener an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen, seine Anschuldigungen »im Interesse des Landes« zurückziehe, sofern Lander seinen Abschied einreiche.
    Die Alternative zum Abschied war also das Kriegsgericht. Den Gedanken, den Film noch einmal sehen zu müssen, konnte Lander nicht ertragen.
    Eine Kopie seines Gesuchs um Entlassung aus der U.S. Navy liegt dem Protokoll bei.
Lander war wie betäubt, als er den Verhandlungsraum verließ. Er hatte das Gefühl, als sei ihm ein Glied abgehackt worden. Nun würde er es Margaret sicher bald erzählen müssen. Obwohl sie den Film nie erwähnt hatte, würde sie den Grund für seinen Abschied kennen. Er wanderte ziellos durch Washington, eine einsame Gestalt an einem sonnigen Frühlingstag, elegant und gutaussehend in der schmucken Uniform, die er nie wieder tragen würde. Immer wieder sah er den Film vor sich. Er sah jede Einzelheit, nur daß er aus irgendeinem Grund statt der Kriegsgefangenenkleidung eine kurze Hose trug. In der Nähe des Washington Monument setzte er sich auf eine Bank. Es war von hier nicht sehr weit bis zur Brücke nach Arlington, nicht weit bis zum Fluß. Er überlegte, ob der Beerdigungsunternehmer ihm wohl die Hände auf der Brust übereinander legen würde. Er überlegte, ob er einen kurzen Abschiedsbrief schreiben und darin bitten sollte, daß man die gesunde Hand obenauf legte. Aber der Brief würde sich in seiner Jackentasche wahrscheinlich auflösen. Er starrte auf das Washington-Denkmal, ohne es wirklich zu sehen. Er sah es mit dem Tunnelblick eines Selbstmörders: das Monument stand in dem hellen Kreis wie ein Fadenkreuz in einem Zielfernrohr. Plötzlich kreuzte irgend etwas sein Blickfeld, durchquerte den Kreis über und hinter dem Fadenkreuz. Es war das silberne Luftschiff

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