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Schwarzer Sonntag

Schwarzer Sonntag

Titel: Schwarzer Sonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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über die Schlaglöcher hinweg und bremste bei der ersten roten Ampel so scharf, daß die vordere Stoßstange fast den Boden berührte. Mit resigniertem Gesichtsausdruck stieg Moschevsky aus und kletterte auf den Beifahrersitz. »Immer mit der Ruhe. Nicht so voll in die Bremsen, nicht so holpern«, sagte er.
    »Wieso?« sagte der Fahrer. »Zeit ist Geld, mein Junge.«
    Moschevsky beugte sich vertraulich zu ihm. »Weil ich dir sonst deinen verdammten Hals umdrehe, Bürschchen. Darum.«
Abwesend betrachtete Kabakov die Passanten, die vorüberhasteten. Es war noch früh am Nachmittag, und schon dämmerte es. Was für eine Stadt. Eine Stadt mit mehr Juden als Tel Aviv. Was hatten die jüdischen Einwanderer wohl empfunden, die nach der Überfahrt auf dem überfüllten Zwischendeck in Ellis Island zusammengepfercht wurden. Und manche hatten dort sogar ihren Namen verloren, weil ein des Lesens und Schreibens kaum kundiger Beamter einfach »Smith« oder »Jones« in die Einwanderungspapiere gekritzelt hatte. Und an einem trüben Nachmittag hatte die Fähre sie dann von Ellis Island auf diesen kalten Felsen übergesetzt, auf dem einem nichts geschenkt wurde. Auseinandergerissene Familien, Männer, die allein waren.
Was geschah hier damals mit einem Mann, der allein gekommen war und starb, bevor er sich etwas aufgebaut hatte und seine Familie nachholen konnte? Mit einem einsamen Mann? Wer saß Shibh’aa - die Nachbarn?
Die Plastikmadonna am Armaturenbrett des Taxis erregte Kabakovs Aufmerksamkeit, und schuldbewußt wandte er sich wieder dem Problem zu, das ihn quälte. Er schloß die Augen und fing noch einmal von vorn an, bei dem Kommandounternehmen in Beirut, das ihn letztlich hierher geführt hatte.
Kabakov war vor dem Überfall genauestens instruiert worden. Die Israelis wußten, daß sich Nadscheer und Abu Ali in dem Apartmenthaus aufhalten würden und daß vielleicht auch noch andere Terroristenführer anwesend waren. Kabakov hatte die Dossiers über die Guerillaführer, von denen man wußte, daß sie im Libanon waren, so lange studiert, bis er den Inhalt auswendig konnte. Er sah die Akten, die in alphabetischer Reihenfolge auf seinem Schreibtisch gelegen hatten, noch jetzt vor sich.
Zuerst Abu Ali. Abu Ali, getötet beim Überfall in Beirut, hatte keine Angehörigen, keine Familie außer seiner Frau, und sie war ebenfalls tot. Er - ein Mann, der allein war! Bevor Kabakov den Gedanken zu Ende gedacht hatte, klopfte er an die Trennscheibe aus Plexiglas. Moschevsky schob sie auf.
»Sagen Sie ihm, er soll auf die Tube drücken!«
»So, jetzt soll ich auf einmal auf die Tube drücken?« sagte der Fahrer über die Schulter hinweg.
Moschevsky bleckte die Zähne.
»Na schön, dann drücke ich auf die Tube«, sagte der Mann.
    Das israelische Konsulat und die israelische Vertretung bei den Vereinten Nationen sind im gleichen Haus untergebracht, einem weißen Backsteingebäude in Manhattan, Second Avenue Nr. 800. Das Sicherheitssystem ist ausgeklügelt und lückenlos. Ungeduldig humpelte Kabakov im Warteraum auf und ab. Dann ging er schnell in die Fernmeldezentrale.
    Es dauerte nur wenige Minuten, bis Tel Aviv den Eingang seines chiffrierten Telegramms Abu Ali betreffend bestätigte. Es setzte eine gut geölte Maschinerie in Gang. Nach einer Viertelstunde verließ ein untersetzter junger Mann das Hauptquartier des Mossad und fuhr zum Flughafen Lod. Er würde nach Nikosia fliegen, den Paß wechseln und dann das nächste Flugzeug nach Beirut nehmen. Seine erste Aufgabe in der libanesischen Hauptstadt würde es sein, eine Tasse Kaffee zu genießen, und zwar in einem kleinen Café mit einem ausgezeichneten Blick auf das Polizeipräsidium von Beirut, wo man hoffentlich die gesetzliche Frist einhielt und den numerierten Karton mit Alis Sachen noch im Asservatenraum verwahrte. Jetzt gab es einen Empfangsberechtigten.
    Vom Scrambler-Telefon des Konsulats aus sprach Kabakov eine halbe Stunde lang mit Tell. Der Botschafter gab keinerlei Überraschung über Kabakovs Bitte um indirekte sowjetische Hilfe zu erkennen. Kabakov hatte das Gefühl, daß Yoachim Tell in seinem ganzen Leben noch nie überrascht gewesen war. Er glaubte, in der Stimme des Botschafters sogar eine besondere Wärme zu hören, als dieser sich verabschiedete. War es Sympathie? Kabakov errötete und humpelte zur Tür der Zentrale. In der Ecke ratterte der Fernschreiber, und in der Türöffnung hielt ihn der Beamte zurück. Die Antwort auf seine Anfrage nach dem syrischen

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