Schwarzer Tanz
er auch zuvor gewesen, doch es waren immer andere Leute in der Nähe. Er konnte Ruth nicht einfach entführen, selbst wenn man annahm, dass er den Befehl dazu erhalten hatte, was ziemlich unwahrscheinlich schien.
Rachaela war es egal. Es ist mir egal. Es blieb Ruth überlassen. Sie war immer noch eine Belastung. Sie musste immer noch ernährt und gekleidet werden, und bald schon würde sie über eine höhere Schule, mit Uniformen und anderen Anforderungen, entscheiden müssen. Ruth würde zu einem noch größeren Problem werden, wenn sie älter wurde. Wie lange würde Rachaela ihr Leben mit diesem Wesen teilen müssen? Sie hatte sich an sie gewöhnt, das war alles. Es war nicht befriedigend.
Auf der Straße. Leise ausschreiten und lauschen.
Wer war das, der da aus der Türöffnung trat? Ein alter Mann mit einer Tasche.
Wenn du um die Ecke kommst, sieh in jede Mauernische.
War jemand da?
Oben angekommen, Ruth ist nicht zu Hause. Geh im Dunkeln ans Fenster und schau auf die Straße.
Was war das?
Ein Mann im Anorak.
Wo war Ruth? Um die Ecke bei Lucile?
Das war sie, auf der Treppe. Schlüssel in der Tür.
Mrs. Mantini sagte: » Sie sehen mehr zum Fenster hinaus, als dass Sie es putzen.«
Wer war das auf der anderen Straßenseite, gegenüber dem Laden, schwarzer Überzieher, vielleicht auch eine Wollmütze.
» Der Kunde hier möchte bedient werden, Rachaela.«
Der Mann war verschwunden.
Er würde jedoch nicht ihr folgen, nicht sie beobachten.
» Diese Halskette kostet fünfzehn Pfund.«
Die Bäume waren mit einem Hauch von Grün überzogen. Immer noch war ein wenig Licht am Himmel.
Ruth saß am Tisch und aß ein Marmeladenbrot.
» Warum hast du nicht gewartet? Das Abendessen ist in zwanzig Minuten fertig.«
» Ich hatte Hunger. Neuerdings gibt es immer so spät Abendbrot.«
» Du kommst sonst meistens zu spät.«
» Ich geh zu Lucile.«
Rachaela sah Ruth an. » Hast du den Mann wiedergesehen?«
» Ja.«
» Ich habe dir gesagt, dass du mir Bescheid sagen sollst.«
» Er hat nichts gemacht. Er hat nicht mit mir gesprochen.«
» Wo war er?«
» Vor den Toren.«
» Den Schultoren?«
» Ja. Er stand einfach da, und ich bin rausgekommen, und er hat sich nicht bewegt. Lucile hat gesagt, er wäre komisch.«
» Erzähl Lucile ja nicht, wer er ist.«
» Ich habe Lucile nichts gesagt. Sie hat gesagt, sieh dir diesen komischen alten Mann an.«
Wenn sie mit Lucile zusammen war, würde er sich nicht an sie heranwagen. Vielleicht war diese Verbindung mit Lucile doch eine gute Sache.
Rachaela stand am Fenster und ließ ihren Blick über die Straße wandern. Er war da. Auf der anderen Seite, unter einer Lampe, die gerade jetzt hellrot aufleuchtete. Er wollte gesehen werden.
» Bleib da«, sagte sie zu Ruth.
Sie rannte die Treppe hinunter und schoss auf die Straße hinaus. Der Agent der Scarabae war verschwunden.
Oben vom Fenster blickte Ruths weißes Gesicht auf sie herab. Ungerührt.
Mrs. Mantini pflückte den Nagellack von ihren Nägeln: » Ich möchte mit Ihnen reden, Rachaela«, sagte sie, » darüber, dass Sie immer zu spät kommen. Sie kamen heute Nachmittag eine halbe Stunde zu spät. Das wirft meinen Zeitplan durcheinander.«
» Ja«, sagte Rachaela.
» Ich muss Sie darum bitten, dass so etwas nicht mehr vorkommt.« Rachaela reduzierte die Fünfzehn-Pfund-Halskette auf die vorgeschriebenen vierzehn Pfund und legte sie sorgfältig, mit dem Preisschild nach unten, zurück an ihren Platz.
Mrs. Mantini wischte mit der Hand über die staubfreie Oberfläche eines viktorianischen Kaminsimses.
» Dieser Spiegel könnte einen Lappen vertragen.«
Dann verließ Mrs. Mantini den Laden, um die üblichen zwei Stunden vor Ladenschluss verschwunden zu bleiben.
Ein Japaner kam herein und fragte nach den Porzellanenten. Als er gegangen war, säuberte Rachaela den Spiegel mit dem Glasreiniger, der immer Schmierstreifen hinterließ, und wandte sich dann wieder der Neuauszeichnung des Schmuckkästchens zu. Um viertel vor vier kam Mrs. Mantini unerwarteterweise zurück.
» Wir müssen zumachen, Rachaela. Ich muss nach Brighton fahren.«
Nachdem Mrs. Mantini erneut verschwunden war, begannen die Nachmittagskunden einzutrudeln, und um halb fünf, eine Stunde zu früh, schloss Rachaela die Tür vor der Nase zweier begieriger Kunden ab.
Rachaela empfand ein Gefühl der Freiheit, als sie nach Hause ging. Sie dachte an Mrs. Mantini im dichten Verkehr der Autobahn. Als hätte sich eine dunkle Wolke von ihrer
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