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Schwarzer Tanz

Schwarzer Tanz

Titel: Schwarzer Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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schreckliches Kind zum Arzt, Mrs. Day, das ist der einzige Rat, den ich Ihnen geben kann.«
    » Danke«, erwiderte Rachaela.
    Mrs. Keating fluchte und legte auf.
    Rachaela schaltete das Radio an. Sie wollte nicht mehr an Ruth denken.
    Sie würde sie bis zum Abend nicht sehen müssen. Ein Klavierkonzert von Rachmaninow erfüllte den Raum und ließ das Problem Ruth trivial und unscheinbar werden.
    Um ein Uhr nahm Rachaela ihr Mittagessen zu sich, und um fünf nach zwei, eine halbe Stunde zu spät, stand sie auf und begab sich auf den Weg in den Antiquitätenladen.
    Mrs. Mantini machte ihr keine Vorhaltungen, sie schürzte ihre apfelsinenfarbenen Lippen und machte eine große Sache daraus, sich eilends aus dem Laden zu entfernen.
    Der Nachmittag war wenig ereignisreich. Ein Mädchen kam in das Geschäft und versuchte, um eine Vase aus dem neunzehnten Jahrhundert zu feilschen, doch Rachaela erzählte ihr, dass Mrs. Mantini nur faire Preise berechnete und deswegen ihre Artikel niemals reduzierte. Ein gut aussehender junger Mann und eine ziemlich glamouröse Frau im mittleren Alter, wahrscheinlich seine Mutter, sahen sich im Laden um und kauften schließlich ein kleines Messingschaukelpferd. Um viertel vor fünf kehrte Mrs. Mantini zurück.
    » Oh, Rachaela. Ich hatte gehofft, dass Sie inzwischen diese Kiste ausgepackt hätten.«
    In der Kiste waren schwere Objekte, denen sich eigentlich eher ein starker Mann hätte widmen müssen. Rachaela hatte sie einfach ignoriert.
    » Nun, dann machen wir es eben jetzt«, meinte Mrs. Mantini zutiefst irritiert.
    Unter Mrs. Mantinis Keuchen und Stöhnen machten sie sich an die Arbeit. Um halb sechs waren sie immer noch mit der Kiste beschäftigt. Mrs. Mantini schloss den Laden ab. Sie wandte sich an Rachaela: » Sie können bleiben und weiter helfen. Auf diese Art können Sie Ihre fünfunddreißig Minuten Verspätung wiedergutmachen.«
    Rachaela wollte nicht mit ihr streiten, und sie fuhren bis viertel nach sechs mit dem Auspacken fort. Mrs. Mantini streckte sich und blies ihr einen letzten Atemzug ihres Knoblauch- und Zwiebel-Mittagessens ins Gesicht: » Außerdem möchte ich noch ein paar Takte über dieses ständige Zuspätkommen mit Ihnen reden, Rachaela.«
    Rachaela zog ihren Mantel über. Mrs. Mantini stand im harten Gelb der Messing-Schüreisen und Ofenschirme. » Ich habe schon gestern mit Ihnen darüber gesprochen, aber Sie scheinen mich nicht verstanden zu haben. Ich bezahle Sie nicht fürs Zuspätkommen, ich bezahle Sie dafür, dass Sie pünktlich sind.«
    » Aber Sie bezahlen nicht sonderlich viel dafür, oder?«, fragte Rachaela.
    » Wenn Ihnen die Bezahlung nicht passt, Fräulein, dann können Sie ja woanders hingehen.«
    » Wunderbar«, sagte Rachaela. Sie knöpfte ihren Mantel zu.
    » Geben Sie mir, was Sie mir bis heute schulden.«
    Mrs. Mantini warf ihr einen finsteren Blick zu, ihre Augen glühten. » Das werde ich gewiss nicht tun. Sie können am Samstag vorbeikommen und es abholen.«
    » Nein. Ich möchte es jetzt.«
    Sie stand vor Mrs. Mantini und sah ihr direkt ins Gesicht, bis Mrs. Mantini schließlich in sich zusammenfiel wie ein überhitztes Feuer. Sie verfluchte Rachaela ebenso wie Mrs. Keating zuvor, doch mit etwas deutlicheren Ausdrücken als die andere Dame, öffnete die Kasse und zählte das gekürzte Gehalt ab. Sie warf das Geld auf den Ladentisch vor Rachaela: » Und jetzt hau ab, du kleines Miststück.«
    Rachaela lief hinaus auf die Straße. Ihre Beine zitterten. Sie fühlte, wie eine Welle von Unsicherheit und gleichzeitig Erleichterung sie überrollte.
    Es spielte keine Rolle. Es war ohnehin alles Ruths Schuld.
    In der Wohnung würde sie Ruth entgegentreten müssen. Entweder das völlige Schweigen fortführen, oder die Stille durchbrechen, und so tun, als wäre nichts geschehen. Was stellte das Schweigen überhaupt dar? Wann unterhielten sie sich denn? Nur wenn es Probleme gab.
    Der Himmel leuchtete im warmen, schmuddligen Licht des schwindenden Tages. Sterne verblassten im Schein der erwachenden roten Augen der Straßenlaternen.
    Rachaela fühlte sich unbeschwert, fast heiter. Kein Job. Sie würde sich umsehen müssen. Das würde Zeit in Anspruch nehmen, und Ruth in Vergessenheit geraten lassen.
    Als sie die Wohnungstür erreichte, konnte sie Ruths Abwesenheit spüren, und nachdem sie die Wohnung betreten hatte, merkte sie, dass sie verlassen war.
    Rachaela zog ihren Mantel aus. Sie machte sich Kaffee und schaltete die Lampen an. Sie spülte das

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