Schwarzer Tanz
Seele gelöst.
Sie hatte es aufgegeben, sich wegen des Agenten der Scarabae den Kopf zu zerbrechen. Er konnte genauso wenig tun wie sie selbst.
Sie erreichte das Haus, lief die drei Stockwerke nach oben. Es war ein trüber Tag, und allmählich kam die Dunkelheit.
Sie öffnete die Tür.
Und vernahm ein seltsames Geräusch. Es hörte sich an, als ob ein Kind weinte. Sie wusste sofort, dass es nicht Ruth war. Sie ging durch den vom Badezimmer abgeteilten Flur und starrte in die dämmrige Wohnung. Dann drehte sie sich um und blickte in Ruths Bereich.
Ruth kniete auf dem Boden. Sie drehte sich um und sah sie an. Ihre Augen waren schwarz wie Kohle, was der schwarze Lidschatten und die Mascara, mit denen sie sie umrandet hatte, unterstrichen. Sie hatte sich in griechischem Stil in zwei ihrer bunten Umhängetücher gewickelt, um den Hals trug sie Rachaelas grüne Glasperlen. Ihr Mund war mit dunkelrotem Lippenstift verschmiert. Zuerst hatte es ausgesehen, als hätte sie Blut getrunken.
Auf Ruths Bett lag ein braunhaariges, wimmerndes Mädchen, ebenfalls in ein Umhängetuch gewickelt, mit Make-up-Flecken im Gesicht, allerdings weniger effektvoll aufgetragen.
An dem Hals des Kindes prangte ein schrecklicher, schwarzer Bluterguss.
Das Kind setzte sich auf.
» Ooh, Mrs. Day!« Das Kind weinte und schniefte: » Sie hat mich in den Hals gebissen.«
» Was zum Henker hast du getan?«
Rachaela schnappte sich Ruth und zerrte sie hoch.
» Nichts. Wir haben uns verkleidet.«
» Was hast du mit ihr gemacht?«
» Sie hat mich gebissen!« Das andere Kind fing hysterisch an zu schreien.
Rachaela ließ Ruth fallen. Sie ergriff das andere Mädchen und schüttelte es unbarmherzig. Das Kind warf sich Rachaela in die Arme und vergrub sein mit Rotz und Make-up verschmiertes Gesicht in Rachaelas Pullover.
» Es war ein Spiel«, sagte Ruth vernünftig.
» Hast du ihr diesen Fleck am Hals gemacht?«
» Ich glaube.«
» Ich habe ihr gesagt, dass sie aufhören soll«, jammerte das andere Kind, bei dem es sich höchstwahrscheinlich um die mysteriöse Lucile handelte. » Aber sie wollte nicht. Sie hat immer weiter und weiter gemacht. Blute ich?«
» Nein, du bist in Ordnung. Du bist in Ordnung. Komm mit ins Licht und lass mich nachsehen.«
Sie zerrte die heulende Lucile zur Lampe und machte das Licht an.
Das Mal war ein Bluterguss, purpurfarben und ausgereift, einem Knutschfleck nicht unähnlich, jedoch bösartiger. Es war schauderhaft.
» Nichts Schlimmes«, sagte Rachaela. » Ich hole etwas Jod und ein Pflaster.«
» Meine Mami wird mich nicht mehr mit ihr spielen lassen«, jammerte Lucile, in ihre angsterfüllte Stimme hatte sich ein aufrührerischer Ton eingeschlichen.
» Eine sehr weise Entscheidung.«
Diese Antwort schien sie zu überraschen, denn ihr Tränenstrom ebbte zu einem gelegentlichen Schniefen ab. Sie gestattete Rachaela, die Wunde mit Jod abzutupfen und ein Pflaster daraufzukleben.
Wenn sie Glück hatte, würde » Mami « der schauderhaften Geschichte keinen Glauben schenken, besonders, wenn der Bluterguss ein wenig zurückging, bevor sie ihn zu sehen bekam. Man konnte dem Kind schlecht sagen, dass es seine Mutter anlügen sollte. Lucile war offensichtlich erpicht darauf, ihre Geschichte loszuwerden.
» Du bist jetzt wieder in Ordnung und solltest besser nach Hause gehen«, sagte Rachaela. » Kennst du den Weg?«
» Ja, Mrs. Day.«
» Geh und wasch dir zuerst das Gesicht.«
Lucile lief gehorsam ins Badezimmer.
Ruth tönte über das Wasserplätschern hinweg: » Ich habe sie gar nicht richtig gebissen. Ich hätte es tun können, aber ich hab’s nicht.«
» Du bist verrückt.« Rachaelas Mutter hatte wegen weitaus geringfügigerer Vergehen dasselbe zu Rachaela gesagt. » Was ist nur über dich gekommen?« Eine dämliche Frage, da es sehr offensichtlich war, was über sie gekommen war.
» Es war ein Spiel«, wiederholte Ruth.
» Nein, das war es nicht«, widersprach Rachaela. » Ich weiß, was es war.«
Ruth sah sie an, jeder Zoll ein kleiner Vampir, mit ihrem weißen Gesicht, ihren roten Lippen, den schwarzen Augen und dem wallenden Haar. Sie wirkte weder alarmiert noch bestürzt, nicht einmal ängstlich. Sie sah … selbstzufrieden aus.
Lucile tauchte aus dem Badezimmer auf. Sie riss sich Ruths Umhängetuch vom Leib und warf es auf das Bett.
» Meine Mami wird wütend sein.«
» Anzunehmen. Also, geh jetzt nach Hause.«
Das Lucilemädchen entschwand, aufgedunsen und gekränkt. Rachaela hatte nicht
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