Schwarzer Tanz
so reagiert wie Mamis das gewöhnlich taten.
Ein weiterer Fehlschlag.
Die Fenster glänzten blau im goldenen Schein der Lampe. War er da draußen, auf der Straße?
Ruth setzte sich auf ihr Bett und nahm eine unvollendete Zeichnung zur Hand. Löwen, die augenscheinlich gerade Menschen verschlangen, wahrscheinlich irgendwelche Christen aus dem in der Schule erworbenen religiösen Wissen.
Rachaela verspürte den unwiderstehlichen Drang zu lachen. Ihre eigene Form der Hysterie.
» Leg das weg.« Ruth wandte sich von dem Bild ab. » Du hast etwas unglaublich Dummes getan, Ruth. Dein Verhalten wird uns Ärger machen. Du erwartest von mir, dass ich dich beschütze. Warum sollte ich das?«
Ruth blickte aus dem Fenster auf die herannahende Nacht. Sie schien nicht sonderlich bestürzt zu sein, eigentlich nur darauf zu warten, dass ein langweiliges und sinnloses Gespräch, das nur ein lästiges Geräusch für sie war, sein Ende finden würde.
Das versetzte Rachaela in Rage.
Es war angsteinflößende Wut, in der sich plötzlich sämtliche Aversionen und Ärgernisse der letzten zwölf Jahre zu vereinigen schienen.
» Was bist du eigentlich, du schreckliches kleines Biest?«, brüllte Rachaela.
Ruth sah sie schließlich doch an.
Das weiße, schwarze und rote Gesicht wirkte nur einen kleinen Moment lang überrascht und wurde dann zu einer starren Maske. Rachaela hatte diesen Blick vor langer Zeit schon einmal gesehen. Diesen Ausdruck, diesen Mangel an Ausdruck, dieses Sichverschließen hatte sie auf dem Gesicht des Dämonenbabys gesehen, das Ruth einmal gewesen war.
» Es war kein Spiel«, sagte Rachaela. » Es war etwas Abstoßendes, das sich dein verfaultes Gehirn ausgedacht hat.«
» Lucile kommt in Ordnung«, sagte Ruth ausdruckslos.
» Lucile, diese aufsässige kleine Göre ist mir vollkommen egal. Und du bist mir auch egal. Wenn du deine kranken Fantasien ausleben willst, dann musst du das eben tun. Aber warum bringst du es hierher? Warum musst du mich in diese Sachen verwickeln, du verdammtes, dreckiges, kleines Biest?«
Ruth wand sich, als wäre sie vor der Klasse bloßgestellt worden. Dann saß sie wieder völlig still, passiv, fast leblos.
» Sieh mich an«, sagte Rachaela. Und Ruth richtete den Blick auf ihre Mutter.
Eine Sekunde lang verschwammen ihre Gesichtszüge auf seltsame Art miteinander. Es schien, als wären Ruths Augen scharlachrot und ihr Mund schwarz.
» Nimm dein Bad und geh ins Bett«, befahl Rachaela.
» Wenn du hungrig bist, kannst du dir ein Brot machen. Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben. Ich will dich nicht mehr sehen.«
» Ja, Mami«, sagte Ruth.
Sie holte ihr Nachthemd unter dem Kissen hervor und ging ins Badezimmer.
Am nächsten Morgen ließ Rachaela Ruth sich ihr Frühstück selbst zubereiten. Ruth schüttete Cornflakes und Milch in eine Schüssel und aß sie am Tisch, an dem Rachaela ihren Kaffee trank. Ruth unternahm keinen Versuch, mit Rachaela zu sprechen. Sie nahm ihren Schulranzen und verschwand ohne ein Wort.
Rachaela stand auf und blickte ihr durchs Fenster nach, wie sie den Weg in Richtung Schule entlangtrödelte.
Um zwanzig nach neun läutete das Telefon. Normalerweise erhielten sie, bis auf die gelegentlichen falsch gewählten Nummern, keine weiteren Anrufe.
Diesmal hatte sich niemand verwählt.
» Ich bin Mrs. Keating, Luciles Mutter.«
» Ja?«
» Ich nehme an, Sie wissen, warum ich anrufe.« Rachaela antwortete nicht. Sie hörte, wie sich Mrs. Keating am anderen Ende der Leitung zu beherrschen versuchte.
» Ihr Kind hat Lucile gestern attackiert, und ich frage mich, was Sie dazu zu sagen haben.«
» Eigentlich nichts. Lucile wurde nicht verletzt.«
» Wenn Sie diesen schrecklichen, schwarzen Bluterguss an ihrem Hals nicht als Verletzung bezeichnen … Was ist Ihr Kind eigentlich, eine Art Monster?«
Ja, wie äußerst clever Sie doch sind, dachte Rachaela.
Sie antwortete nicht.
Frustriert fuhr Mrs. Keating fort: » Ich habe noch nie etwas Ähnliches gesehen. Es ist kaum zu glauben, dass ein Kind so etwas getan haben könnte. Ich denke, Sie sollten sie zu einem Arzt bringen. Wahrscheinlich wäre ein Psychiater genau das Richtige.« Rachaela antwortete immer noch nicht auf Mrs. Keatings Wortschwall. Mrs. Keating kreischte: » Ich denke, Sie sollten wissen, dass ich vorhabe, die Schule von diesem Vorfall zu unterrichten.«
» Wenn Sie wollen.«
» Wenn ich will ? Ich muss sagen, Sie haben eine äußerst merkwürdige Einstellung. Bringen Sie Ihr
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