Schwarzer Tanz
blickte aus den Fenstern, ob sich irgendein Beobachter im Schatten verbarg. Und die ganze Zeit über hatte er sich ungesehen an sie herangeschlichen. Natürlich war es nicht Rachaela, die sie interessierte. Ihr Begehren nach Fortdauer … das Kind …
» Du darfst dich niemals – niemals – mit diesem Mann abgeben, Ruth.«
» Warum?«
» Er ist böse.«
» Er sah einfach nur aus wie ein Mann.«
» Er arbeitet für die Scarabae.«
» Für meinen Dad?«
» Nein. Für die Familie. Ich habe dir gesagt, sie sind verrückt und gefährlich.«
Es war, als würde sie Steine ins Wasser werfen; nach einem kurzen Moment war der Eindruck verschwunden, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Rachaela hatte das Gefühl, als würde sie statt Ruth vor den Scarabae zu warnen, sie weiter in ihre Arme treiben. Was sollte sie tun?
» Ich denke, du hörst besser mit deiner Herumstreunerei auf. Entweder gehst du in die Schule, oder du bleibst hier drinnen.«
Schließ sie ein, halte sie in deiner Nähe.
» Mami, ich will nicht hingehen.«
» Du wirst gehen müssen. Ich will nicht, dass er dich erwischt.« Konnte sie zur Polizei gehen? Dieser Mann belästigt meine elfjährige Tochter … Sie würden Fragen stellen. Dieser Mann ist der Agent des Vaters Ihrer Tochter, seiner Familie. Der Vater Ihrer Tochter hat ein Recht auf Ihre Tochter. Es könnte alles sehr komplex werden, noch gefährlicher. Halte das Kind in der Wohnung. Aber wie lange? Sie musste sich dem Mann stellen, ihn vertreiben. Er ließ sich nie sehen, wenn Rachaela in der Nähe war.
» Du wirst zur Schule gehen müssen. Ich werde dich hinbringen.«
» Ich will nicht.«
» Ich weiß. Es tut mir leid. Aber das ist eine ernste Sache.«
» Er hat nur gesagt, dass er mir eine Cola kaufen würde. Ich bin nicht mitgegangen.«
» Er könnte … Ich weiß nicht.«
» Ich werde nicht mehr mit ihm sprechen.«
» Ruth, du musst tun, was ich dir sage.«
Tu, was ich dir sage. Die Stimme ihrer Mutter, zornig, mit ihrem Latein am Ende.
Ruth beendete ihre Mahlzeit und verließ den Tisch. Sie ging hinter ihre Wand, und Rachaela hörte das vertraute Kratzen eines Bleistifts auf Papier.
Rachaela stand auf und ging an die Wand von Ruths Schutzhöhle.
» Ruth, wenn er dich jemals allein erwischt, möchte ich, dass du schreist. Schrei so laut du kannst, und renn weg. Hörst du?«
» Schreien und wegrennen«, wiederholte Ruth. Sie warf Rachaela einen kühlen und erwachsenen Blick zu, voller Ironie.
» Ich meine es ernst.«
» In der Schule haben wir eine Radiosendung gehört«, sagte Ruth. » Dieser Mann hat gesagt, dass Töchter nach ihren Vätern gehen. Wenn ich wie mein Dad bin, dann muss ich auch eklig sein.«
Rachaela starrte sie an.
Warum versuchte sie, diese Kreatur zu schützen? Hatte sie vergessen, wie sie war, wie sie in ihr gewachsen war? Im Moment spielte sie die äußerst unpassende Rolle einer besorgten Mutter. Worum besorgt? Überall um Ruth herum, in ihrer Grotte, hingen merkwürdige Gemälde, Stückchen aus farbigem Glas, Glöckchen und Überwürfe. Ein Gefäß voller Schatten und gedämpften, schweren Farben, und Ruth hockte darin wie eine weiße Spinne in ihrem Netz, ihr wunderschönes, hässliches, kleines Gesicht durchbrochen von der Schwärze der Scarabae-Augen.
Rachaela schluckte.
Sie wollte sagen: Tu, was du willst. Sprich mit dem Mann. Finde heraus, was du willst.
Ruth fühlte ohnehin alles in ihren elfjährigen Knochen.
» Du bist nicht wie dein Vater. Dein Vater will dich nicht. Die Familie ist neugierig und besitzergreifend. Du schuldest ihnen nichts. Tu, was ich sage.«
» Ja, Mami«, sagte Ruth und beugte ihren Kopf über ihre Zeichnung von einer Hexe.
Rachaela konnte Ruth nur morgens zur Schule begleiten; zumindest brachte sie sie bis zu den Toren. Am Nachmittag musste sie Ruth vertrauen, dass sie nach Hause kam.
Manchmal kam Ruth immer noch zu spät.
» Wo bist du gewesen?«
Ruth hatte sich einige Läden angesehen oder war in der Wohnung irgendeines Mädchens, das sie zuvor nie erwähnt hatte. Wahrscheinlich stimmte das, denn Ruth log niemals, sie wich nur aus.
» Ist der Mann dir noch einmal begegnet?«
» Ich habe ihn nicht gesehen.«
» Sag mir, wenn er wieder auftaucht.«
Rachaela bekam die dummen Begleitgänge zur Schule allmählich satt. Sie schickte Ruth alleine los und folgte ihr. Niemand außer ihr selbst verfolgte oder belästigte Ruth.
Eine Art Apathie überkam Rachaela.
Der Mann würde hartnäckig bleiben, das war
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