Schwarzer Tanz
Natürlich akzeptiere ich es. Ich bin hier.«
Rachaela erhob sich ebenfalls. Zu ihren Füßen knurrte der Kater leise im Schlaf.
» Ich werde Ruth wegbringen«, sagte Rachaela.
» Du bist nicht stark genug. Weder physisch noch geistig. Ruth ist ein Teil ihrer kollektiven Seele, ihnen ausgeliefert auf Gedeih und Verderb«, sagte er.
» Glaubst du, ich werde dasitzen und es geschehen lassen?«
» Du hast keine andere Wahl. Du hattest die Macht über dein eigenes Leben, das war alles.«
» Ach, wirklich? Hatte ich die Macht, als du mich mit diesem Ding – diesem Baby – belastet hast? Ich wollte es abtreiben, es einfach wegspülen.«
» Das hast du aber nicht getan«, sagte er. » Oder?«
Rachaela schloss die Augen. Ihre Schwäche, ihr Pech, war das wirklich der Einfluss der Scarabae gewesen, die ihre Arme nach ihr ausgestreckt hatten, um sie auf dem rechten Kurs zu halten?
» Was wäre geschehen, wenn ich geblieben wäre?«
» Sie hätten dich gefeiert. Du wärst die Madonna gewesen. Man hätte alles Notwendige für dich veranlasst.«
» Ohne Ärzte«, sagte Rachaela.
» Unice und Miriam haben die letzten zwanzig Kinder erfolgreich zur Welt gebracht.«
Rachaela lachte.
» Eingesperrt in der kerkerhaften Gebärmutter des Hauses mit zwei alten Frauen, die Ruth aus mir herauszerren.« Sie dachte an die Halluzination von Camillo auf dem Strand, die sie im Krankenhaus gehabt hatte.
» Und was noch? Irgendeine zeremonielle Vermählung mit dir als Bräutigam, und dann alle ein oder zwei Jahre ein Besuch von dir in meinem Schlafzimmer?«
» So ähnlich. Sie hätten uns zur Erneuerung der Familie benutzt. Ganz einfach.«
» Und das haben sie jetzt auch mit dir und Ruth vor.«
» Solange ich noch dazu tauge.«
» Und solange Ruth noch dazu taugt. Bis es sie umbringt.«
» Es wird sie nicht umbringen. Die Familie ist sehr stark. Sogar du, Rachaela.«
» Sogar ich. Der Außenseiter. Die Einzige, die nicht durch Inzest gezeugt wurde.«
Er antwortete nicht, und eine Mauer des Schweigens erhob sich zwischen ihnen.
Sie wollte sie mit den Händen niederreißen.
Sie sagte: » Ich werde mit Ruth sprechen. Ich werde ihr erklären, was all das wirklich bedeutet. Dann werden wir sehen.«
» Viel Glück.«
» Du denkst, sie wird mir nicht zuhören. Aber ich habe mit deinem Kind zusammengelebt. Sie ist allein an sich selbst interessiert, und an dem, was sie unterhalten kann. Dies ist ein neues und faszinierendes Spiel für sie, aber irgendwann wird es ihr langweilig werden. Sie wird keine Lust haben, die Bienenkönigin für euren Stock zu spielen.«
» Vielleicht.«
» Du denkst, eure Scarabae’schen Zauberkünste sind die stärksten, die es gibt? Du bist doch nur eine Marionette. Du hast keinen eigenen Verstand. Du bist ein Nichts. Ihr Samenspender.«
» So viele zornige Worte«, sagte er.
Seine Schönheit berührte eine tief verborgene Saite in ihr. Sie sehnte sich danach, zu ihm zu gehen, sich an ihn zu lehnen und neben ihm zu liegen. Sie wollte, dass er ihr sagte, all das spiele keine Rolle. Sie wollte seine Arme, seinen Mund, seinen Körper, genauso, wie sie an diesem Tag und in dieser Nacht der widersinnigen Ekstase danach verlangt hatte. Verfluchte Ruth, was war sie schon? Ein Sandkorn, eine Flocke aus Staub.
Aber sie würde es nie mehr zulassen, dass er sie berührte. Sie würde ihm nicht gestatten, dass er in seiner leidenschaftslosen und rasenden Lust über Ruth herfiel.
» Ich habe alles gesagt«, schnaubte sie und ließ ihn allein zurück.
Zwei heiße Tage vergingen, bevor sie Ruth allein erwischte. Rachaela sah ihre Tochter lediglich beim Abendessen, nach dem sie zu der Klavierstunde mit Adamus verschwand. Rachaela hatte das Haus aufs Neue durchstreift, sie spähte in den Garten, wo sich die Ranken an der Zeder emporwanden, auf deren Zweigen jetzt Rosen blühten. Sie hatte in dem roten Schlafzimmer nachgeschaut, das Fenster mit der karmesinroten Madonna, das gekrönte Kind und die goldenen Könige mit den Diademen und den Tiergesichtern gesehen. Doch Ruth hatte sie nicht entdeckt.
Am dritten Tag war Rachaela auf die Heide hinausgelaufen und hatte Ruth neben dem Monolithen sitzend vorgefunden. Sie trug ein Kleid mit kleinen Puffärmeln, das aus dem Anfang des Jahrhunderts stammen musste. Sie hatte kein Make-up aufgelegt, und ihr Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Rachaela ging auf sie zu und ließ ihren Schatten auf das sonnenverbrannte Gras fallen. Schmetterlinge flatterten
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