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Schwarzer Tod

Titel: Schwarzer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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begriff ich. Es diente nur meiner Sicherheit, daß er nach außen hin die Illusion aufrechterhielt, wir hätten keine Beziehung. Er hätte mich lieber als alles andere geheiratet.«
    McConnell hörte das leichte Zittern in Annas Stimme, aber sie hatte sich rasch wieder gefaßt.
    »Die Praxis war beinah so voll wie immer. Einige Patienten kamen nicht mehr, aber das waren nur wenige. Ein Doktor, der sich wirklich um seine Patienten sorgt, ist nicht leicht zu finden. Zu viele beten einfach das Skalpell an, stimmt's? Oder sich selbst.«
    McConnell lächelte. »Ein paar solcher Ärzte kenne ich auch.«
    »Franz war anders. Seinen Patienten gegenüber empfand er eine tiefe Verpflichtung. Deshalb wollte er auch nicht aufhören. Schließlich ließen ihm die Nazis keine Wahl mehr. Sie verboten jüdischen Ärzten, überhaupt zu praktizieren. Unsere Empfangsdame weigerte sich, zur Arbeit zu kommen. Ich jedoch nicht. Ich habe fünf Wochen lang jeden Tag die Arbeit von zwei Leuten erledigt, und Franz arbeitete für zehn. Er besuchte die Alten und brachte Babys zur Welt; er war einer der letzten jüdischen Ärzte. Und wissen Sie, was das Komische ist? Viele Arier sind weiter zu ihm gekommen, und er hat sie auch weiter behandelt!« Sie holte tief Luft. »Entschuldigen Sie, daß ich das ausgegraben habe. Es ist nur ... Ich habe das noch nie jemandem erzählt, seit es passiert ist. Ich konnte es einfach nicht. Verstehen Sie das? Meinen Eltern nicht, und auch nicht meiner Schwester. Erst recht nicht meiner Schwester!«
    »Ich verstehe Sie, Fräulein Kaas.«
    »Wirklich? Wissen Sie, wie es schließlich zu Ende ging?«
    »Sie haben ihn in ein Konzentrationslager verschleppt.«
    »Nein. Eines Morgens kam ein sauberer SS-Junge - ich meine wirklich ein Junge, denn er war jünger als ich - in unser Wartezimmer und verlangte den Arzt zu sehen. Er hatte vier Freunde dabei, alle in Schwarz mit den Totenkopfabzeichen. Franz kam ins Wartezimmer. Er trug seinen weißen Kittel und das Stethoskop um den Hals. Der SS-Junge sagte ihm, daß seine Praxis geschlossen sei. Franz erwiderte, daß niemand das Recht hätte, ihn daran zu hindern, Kranke zu behandeln, ganz gleich, welche Uniform sie trügen. Er riet dem Jungen, nach Hause zu gehen, und drehte sich um, weil er wieder an die Arbeit gehen wollte.«
    McConnell lief ein Schauder über den Rücken. »Sie haben ihn nicht umgebracht ...?«
    »Der Junge hat eine Walther gezogen und Franz in den Rücken geschossen. Die Kugel hat sein Rückgrat zerschmettert.« Anna wischte sich die Tränen aus den Augen. »Er ist nach einer Minute in seinem eigenen Wartezimmer gestorben.«
    McConnell wußte nicht, was er darauf sagen sollte.
    Anna hob den Blick. »Und wissen Sie, was das Schlimmste war? Es saßen deutsche Christen im Wartezimmer, als es passierte. Leute, die Franz seit 15 Jahren behandelt hat. Und keiner von ihnen, keiner, äußerte auch nur einen Laut des Protests. Nicht einmal dem Jungen gegenüber, der ihren Doktor direkt vor ihren Augen ermordet hatte!«
    »Anna ... «
    »Und da fragt sich Stern, warum ich die Nazis hasse?« Sie ballte die Fäuste. »Ich sage Ihnen, wenn ich nicht so feige wäre, würde ich Brandt selbst umbringen!«
    McConnell hatte ganz plötzlich eine seltsame Idee. »Wie kommt es dann in Gottes Namen, daß Sie danach in einem Konzentrationslager arbeiten?«
    Anna trank noch einen Schluck mit Wodka versetzten Kaffee. »Das ist wirklich das Beste. Als ich deprimiert und beinahe völlig am Ende aus der Stadt zurückkam, hat meine ältere Schwester sich meiner erbarmt. Natürlich war sie in einer hervorragenden Position, um mir helfen zu können. Um dem langweiligen Landleben zu entkommen, hatte sie den Gauleiter von Mecklenburg geheiratet. Können Sie sich das vorstellen? Meine Schwester Sabine ist ein fanatischer Nazi! Sie hat mir die Stellung in Totenhausen verschafft, und ich konnte schlecht ablehnen. Als ich das erste Mal durch Brandts Krankenhaus ging, kam es mir ehrlich gesagt wie eine zivile Institution vor. Was war ich doch für eine Närrin!«
    Es ist tatsächlich verrückt, dachte McConnell, aber typisch für das, was dieser Krieg mit den Menschen gemacht hat. »Sie haben vorhin von Courage gesprochen«, sagte er. »Ihr Franz Perlman hatte die Art von Courage, die ich bewundere. Er hatte Prinzipien, Charakter und Überzeugungen.«
    »Ja«, sagte Anna in ihren Becher. »Und jetzt ist er tot. Dahin bringen Sie Ihre Prinzipien in dieser Welt, die wir uns geschaffen

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