Schwarzer Tod
hir usay, v'yamleeh malhusay-... Reicht das?«
»Er kennt es«, meinte jemand zögernd.
»Das hat nichts zu bedeuten«, flüsterte eine andere Frau.
»Welches Jahr haben wir?« fragte jemand.
»Nach dem hebräischen Kalender das Jahr 5705.« Stern wußte, daß ihm die Zeit davonlief, aber er war auch stolz darauf, daß die Frauen ihn so prüften.
»Wie lauten die Vier Fragen?«
Er lächelte im Dunkeln, als er sich die Passah-Sitzungen seiner Jugend wieder ins Gedächtnis rief. »Warum essen wir Matze? Warum essen wir Bitterkraut? Warum waschen wir unser Gemüse? Und warum feiern wir Sabbat?«
»Er kennt sie.«
»Noch mehr Lügen«, widersprach die Skeptikerin. »Kein Jude würde freiwillig herkommen.«
»Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden«, meldete sich eine zuversichtlichere Stimme. »Und zwar dieselbe, die auch die SS benutzt, um unsere Männer aus der Menge auszulesen.«
Stern war verwirrt, doch nur für einen Augenblick.
»Können Sie diesen Test auch bestehen, SS-Mann?« fragte die Skeptikerin.
Ärgerlich und verlegen öffnete Stern die Hose seiner SD-Uniform und zog sie ein Stück herunter.
»Zündet die Kerze an«, befahl die selbstsichere Stimme.
Im flackernden Licht der Kerze sah Stern fünf Frauen in gestreiften grauen Kitteln. Sie hatten gelbliche Gesichter, glanzlose Augen, und ihr Haar war beinahe bis auf die Kopfhaut abrasiert. Hinter ihnen drängten sich andere, die wachsam in die Dunkelheit lauschten.
»Kommen Sie näher«, befahl eine der Frauen. Sie war noch jung, besaß einen dunklen Haarschopf und Augen wie Onyx.
Stern gehorchte.
Die Dunkelhaarige kroch mit der Kerze auf ihn zu und hockte sich vor ihn. »Er sagt die Wahrheit«, erklärte sie. »Er ist beschnitten.«
Einige der Frauen stießen hörbar die Luft aus. Stern zog die Hose wieder hoch. Als sich die Frau vor ihm aufrichtete, sah er ihr in die Augen. Sie schien jünger zu sein als die anderen Frauen, und auch gesünder. Bei ihr sah er nicht nur Haut und Knochen, sondern auch weibliche Formen.
»Ich bin Rachel Jansen«, sagte sie. »Und Sie sind verrückt!«
McConnell hatte schon eine Stunde in Annas Tagebuch gelesen. Er wollte eigentlich nicht weitermachen, aber er konnte nicht aufhören. Er war wie benommen. Selbst jetzt konnte er noch nicht ganz akzeptieren, was er hier las. Das Tagebuch der Krankenschwester beschrieb nichts anderes als die systematische Pervertierung einer berühmten nationalen medizinischen Gemeinschaft in die vollkommene Negation dessen, was seit den Zeiten des Hippokrates einen Mediziner definierte.
Natürlich hatte McConnell einige Horrorgeschichten erwartet. Monatelang hatte es in England Gerüchte über die Brutalität in den Nazi-Lagern gegeben. Aber Annas Tagebuch hatte wenig mit Brutalität zu tun. Brutalität war ein universeller Makel des menschlichen Charakters, und in jeder Gesellschaft verbreitet. Dieses Tagebuch beschrieb Greueltaten, die sich auf einer vollkommen anderen Skala bewegten. Selbst ein direkter Mord wirkte banal angesichts dessen, worüber McConnell in der letzten Stunde gelesen hatte. Eine der beunruhigendsten Passagen wirkte nicht nur wegen der Taten, die dort beschrieben wurden, so nachhaltig auf ihn, sondern auch wegen der Leute, die daran beteiligt waren.
1.6.43. Dr. Brandt ist von einer Reise ins Hauptlager von Auschwitz zurückgekehrt. Den ganzen Nachmittag hat er sich bei Rauch und Schmidt darüber beklagt, wie dort Reichsgelder verschwendet werden. Er sagt, daß Dr. Clauberg jeglichen wissenschaftlichen Anspruch verloren habe und daß seine Massensterilisationsexperimente an Quacksalberei grenzten.
McConnell kannte den Namen Clauberg gut. Aber konnte Annas Tagebuch tatsächlich den Arzt meinen, der den Standardtest für Progesteron entwickelt hatte? Ein Test, der immer noch seinen Namen trug? Wenn man dem Tagebuch Glauben schenken konnte, dann ja.
Clauberg hat anscheinend damit begonnen, sowohl Männer als auch Frauen mit massiven Dosen Röntgenstrahlen zu kastrieren<. Brandt behauptet, daß die Unwirksamkeit dieser Methode selbst jemandem mit nur rudimentärem medizinischen Wissen über Gammastrahlen klar wäre. Um seine Behauptung zu beweisen, hat Brandt einen männlichen Gefangenen angefordert, den Hauptscharführer Sturm sofort beibrachte. (Es war ein 17 Jahre alter russischer Kriegsgefangener). Während der Gefangene von SS-Männern gewaltsam festgehalten wurde, hat Brandt eine Vasektomie durchgeführt, um seinen Proteges vorzuführen, wie
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