Schwarzer Tod
morgen abend finden.«
McConnell holte tief Luft. »Mag sein. Aber es ist trotzdem seltsam, findest du nicht? Ich meine, daß Stern seine Befehle mißachtet hat.«
»Nein. Er mag dich.«
McConnell lachte. »Er mag mich nicht.«
»Vielleicht ist mögen das falsche Wort. Er respektiert dich. Du bist etwas, was er niemals sein kann.«
»Und was?«
»Unschuldig, naiv und voller Hoffnung.« Sie zog die Decke bis ans Kinn. »Amerikanisch eben.«
»Ich komme mir nicht besonders naiv vor, und ich habe ziemlich wenig Hoffnung, wenn du die Wahrheit wissen willst.«
Anna drehte sich unter der Decke um und zog ihn an sich. »Es ist trotzdem verrückt. Warum haben die Alliierten Totenhausen nicht einfach zu Klump gebombt?«
»Weil ein Bombardement nichts in Himmlers Kopf ändern würde.« Er spürte ihre feuchte Haut, drehte sich zu ihr um und zog sie auf sich. Anna bewegte sich kaum, und er glitt sofort in sie hinein. Er sah ihr in die Augen.
»Wer hat sich diesen Einsatz ausgedacht?« fragte sie nach wie vor bewegungslos.
»Einer von Churchills Leuten.« McConnell legte die Hände auf ihre Oberschenkel und versuchte, sie sanft zu schaukeln.
Sie nutzte ihr Gewicht, um ihm Einhalt zu gebieten. »Churchill steckt hinter dem Plan?«
»Letztlich ja. Ich habe ihn gesehen. Er hat mir einen Zettel gegeben, mit dem er mich von der Schuld am Tod der Leute freisprechen wollte, die bei diesem Einsatz sterben. Als wäre er der Papst oder so etwas. Anna ...«
Sie setzte sich auf und legte ihre Handflächen auf seine Brust. Er sah, wie ihre Bauchmuskeln sich bewegten, während sie sanft vor und zurückglitt. Dabei sah sie ihn die ganze Zeit an. »Weißt du, was ich mache, wenn ich hier herauskommen sollte?«
»Du wirst herauskommen.«
»Nun ... falls ich es schaffe, werde ich Ärztin. Kinderärztin. Es ist die einzige Möglichkeit, wie ich mit den Erinnerungen daran leben kann, mitangesehen zu haben, was Brandt diesen unschuldigen Geschöpfen angetan hat.«
McConnell wollte nicht daran denken. Er drückte fester zu und beobachtete ihre Augen, während sie sich über ihm bewegte. Anna schien etwas sagen zu wollen, doch statt dessen beugte sie sich herunter, schlang ihre Arme um ihn und preßte ihre Brust an seine. Ihr Gesicht vergrub sie in seiner Halsbeuge. McConnell bemerkte, wie stark sie war, so stark, daß sie ihm mit ihrer Umarmung beinahe die Luft abschnürte. Er spürte eine Kraft in ihr, die die seine geradezu winzig erscheinen ließ. Wie hatte sie so lange überlebt? Auf des Messers Schneide zwischen dem Gewöhnlichen und dem Wahnsinnigen zu leben und so zu tun, als würden Dinge sie nicht rühren, bei denen selbst einem Gerichtspathologen schlecht werden würde. Statt dessen schwieg sie und betete für den Tag, an dem sie endlich zurückschlagen konnte.
Anna hielt den Atem an und richtete sich wieder auf. Sie grub ihre Fingernägel in seine Arme. Dort oben hatte sie sich zurückgehalten. Sie hatte sich weit genug geöffnet, um ihn einzulassen, hatte sich ihm als Zufluchtsstätte angeboten, und er hatte ihr Angebot angenommen. Aber jetzt hatte sie ihn vergessen, oder jedenfalls seinen Körper. Was sie wohl fühlte? Was sah sie hinter den fest geschlossenen Augen in dem geröteten Gesicht? Den Schatten von Franz Perlman, des jüdischen Doktors, der in Berlin ermordet worden war? Oder war sie eine verzweifelte Schwimmerin in einem finsteren Ozean, in dem sie plötzlich ein schwaches Licht der Hoffnung erblickte, das sie zu erreichen versuchte? McConnell redete sich letzteres ein. Er redete sich ein, daß er das Licht war. Daß er sie lebendig aus Deutschland herausbringen konnte. Daß er sie beide herausbringen konnte. Aber als sie aufschrie und ihre Finger sich in sein Haar gruben, ihre Hüften gegen die seinen schlugen, hörte er nur das verängstige Rufen von jemandem, dessen Licht soeben erloschen ist.
»Raus!« schrie eine männliche Stimme. »Raus! Aufstehen!«
McConnell wurde mit einem Ruck wach und griff nach seiner Pistole. Anna war ihm zuvorgekommen. Sie saß mit nackten Brüsten da und hatte die Waffe direkt auf Jonas Sterns Brust gerichtet.
»Finden Sie das komisch?« fragte sie.
»Legen Sie das Ding weg!« fuhr er sie an. »Stehen Sie auf, und ziehen Sie sich an. Draußen ist es schon hell!«
Ihr Gesicht wurde weiß. »Es ist schon Morgen? Wie spät is t es?«
»Halb neun. Die Kanister sind scharf gemacht und an den Hundezwingern vergraben. Sie detonieren automatisch heute abend um acht Uhr.«
Anna
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