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Schwarzer Tod

Titel: Schwarzer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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warf die Decke zurück und zog sich an. McConnell bemerkte, daß Stern sich nicht abwandte.
    »Warte«, sagte er.
    Anna knöpfte sich gerade die Bluse zu. »Ich kann nicht. Ich bin ohnehin schon zu spät.«
    »Anna ... Himmel, du kannst da nicht hingehen.«
    »Sie muß«, widersprach ihm Stern. »Das haben wir doch gestern nacht besprochen.«
    »Unsinn!« McConnell stand auf, zog seine Unterhose an und packte Anna am Arm. »Schörner wartet vielleicht schon auf dich. Was hat der Gestapomann gestern abend gemacht, als er angekommen ist, um Wojik zu verhören?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Anna und schnallte einen Gürtel um ihre Taille. »Aber wenn ich nicht gehe, kommen sie her, und ihr werdet beide umgebracht. Außerdem muß ich die Sauerstoffflasche in den E-Block bringen.«
    »Anna, diese Flasche ist nicht wichtig genug, um ... «
    »Bitte hör auf.« Sie ergriff seine Hand. »Wenn nicht das Schlimmste schon passiert ist, bin ich lange vor acht heute abend zurück.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn auf den Mund. »Ich werde es schon schaffen. Bleib heute tagsüber in Deckung. Sie auch, Herr Stern. Ich zähle darauf, daß Sie mich aus diesem Land herausbringen.«
    Stern sah von ihr zu McConnell. »Wovon redet sie?«
    Anna lächelte ihn an und lief dann die Kellertreppe hinauf. Sie blickte nicht zurück, als sie durch die Tür trat.
    »Wovon zum Teufel hat sie geredet?« wiederholte Stern.
    McConnell zog sich die graue Hose der SS-Uniform an. »Ich nehme sie mit. Ist das ein Problem für Sie?«
    Stern zuckte mit den Schultern. »Das ist eine Sache zwischen Ihnen und der Royal Navy, Doktor. Allerdings hat vielleicht Ihre Frau noch einiges dazu zu sagen.«
    »Scheren Sie sich doch zum Teufel!«

38

    Anna wußte, daß etwas nicht stimmte, als sie mit dem Fahrrad zwischen den hohen Bäumen herauskam und die Zufahrt zum Haupttor von Totenhausen entlangfuhr. Man hatte nicht nur die Torwache verdoppelt, sondern selbst im blassen Licht der gerade aufgegangenen Wintersonne suchten die Männer auf den Türmen den Waldrand mit ihren schweren Scheinwerfern ab. Als Anna atemlos am Tor anhielt, tauschten die Männer merkwürdige Blicke, hielten sie aber nicht an. Warum auch? Sie fuhr schließlich direkt in die Höhle des Löwen.
    Anna hatte sich vorgenommen zu behaupten, einfach nur Befehle befolgt zu haben, falls Sturmbannführer Schörner sie verhören würde. Er hatte sie schließlich nur gebeten, den Patienten zu waschen, nicht, die ganze Nacht bei ihm zu sitzen, und genau das hatte sie auch getan. Als sie gegangen war, hatte der Patient geschlafen und war in einer einigermaßen guten Verfassung gewesen. Wenn sie weiter unter Druck gesetzt würde, dann wollte sie sich erlauben, ein wenig verärgert zu reagieren. Immerhin war sie eine zivile Krankenschwester, keine SS-Hilfskraft. Medizinische Forschung war eine Sache, Folter eine andere. War es ein Verbrechen, wenn sie einen schwachen Magen besaß?
    Sie bog links ab und radelte zum Kinoanbau. Die Aktivität im Lager wirkte normal, bis auf die verstärkten Wachen und die Scheinwerfer. Anna sah keine Spur von SS-Fahrzeugen aus Peenemünde. Vielleicht waren ja Sturmbannführer Beck und sein Gestapofolterer bereits wieder abgefahren, und vielleicht war alles in Ordnung. Diesen Gedanken hegte sie noch, als sie um die Ecke des Kinos bog.
    Am Bestrafungsbaum hing eine nackte Frau. Sie hing an den Händen, die man ihr hinter dem Rücken zusammengebunden hatte. Die Arme mußten ihr aus den Schultergelenken gesprungen sein, als man sie hochgezogen hatte. Der Oberkörper der Frau war blutverschmiert und ihre Beine dunkelrot. Einen Augenblick lang dachte Anna, daß Hauptscharführer Sturm es doch endlich geschafft hatte, Rachel Jansen umzubringen. Aber als sie zum Krankenhaus fuhr, sah sie, daß es nicht Rachel war. Die Frau hatte blondes Haar. Es wirkte nur so dunkel wegen des vielen getrockneten Blutes.
    »Bitte, lieber Gott, nicht«, flüsterte Anna, als sie an der Treppe zum Krankenhaus anhielt.
    Die tote Frau war Greta Müller.
    Ihre Hände waren hinter ihrem Rücken gefesselt, und sie pendelte sacht hin und her. Anna wußte, daß sie nicht genauer hinsehen sollte, aber sie konnte nicht anders. Jemand hatte Greta einen großen Papierkreis um den Hals gehängt. Einen Kreis für das Erschießungskommando. Der größte Teil des Kreises und Gretas Brust fehlten.
    Alle Instinkte rieten Anna wegzulaufen, sich umzudrehen und, so schnell sie konnte, aus dem Lager zu

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