Schwarzer Tod
radeln. Aber wohin sollte sie fahren? Schörner beobachtete sie vielleicht sogar in eben diesem Augenblick. Sie wußte, daß sie jetzt ins Krankenhaus gehen sollte, aber ihre Beine versagten ihr den Dienst. Gretas Leichnam erzählte eine lange, schreckliche Geschichte. Die Verletzungen zeigten, wo das Verhör begonnen hatte. Eine Reihe von Verbrennungen liefen ihren linken Arm hinauf, und ausgefranste Wunden an den Schenkeln zeigten, daß Sturm und seine Hunde auch noch drangekommen waren, bevor es zu Ende gewesen war.
»Warum Greta?« fragte Anna. Ihre Stimme klang fast wie das Wimmern eines Kindes. Sie blickte über den Appellplatz. Sie wußte, daß sie schreien würde, wenn sie Schörner, Sturm. oder Brandt sehen würde. Warum sie, ihr blöden Bestien? Ich bin die Verräterin! Ich bin die Spionin! Sie redete tatsächlich laut, als plötzlich jemand die Krankenhaustür öffnete und sie anknurrte.
»Komm rein, du blöde Kuh!«
Ariel Weitz stand in der Tür. Sein Frettchengesicht war weiß vor Angst. »Hören Sie auf, sie anzuglotzen! Gehen Sie an die Arbeit!«
Als Anna nicht gehorchte, packte Ariel Weitz sie am Arm und zerrte sie ins Gebäude. Er führte sie den rechten Flur entlang und schob sie in ein leeres Untersuchungszimmer. »Reißen Sie sich zusammen!« Er schüttelte sie an den Schultern. »Sie unterschreiben Ihr Todesurteil, wenn Sie sich nicht normal benehmen! Und me ins auch!«
»Ich verstehe es nicht«, jammerte Anna. »Was ist passiert?«
»Was glauben Sie wohl? Sie haben sie die ganze Nacht gefoltert und dann erschossen.«
»Aber warum? Sie hat nichts getan.«
Weitz' Miene verzerrte sich vor Wut. »Was, glauben Sie, ist passiert, nachdem Sie gestern nacht hier rausgerannt sind? Sie haben Ihren Posten verlassen, und dieser blöde Pole ist abgekratzt! Schörner wollte Blut. Ich wußte ja schon, daß Sturm ein mieser Kerl ist; aber meine Güte, wenn Schörner die Beherrschung verliert ...«
»Aber warum Greta?«
Weitz hob die Hände. »Warum? Weil Schörner über Sicherheit und Landesverrat und Gott weiß noch wovon geschäumt hat. Er hat nicht geglaubt, daß Miklos eines natürlichen Todes gestorben ist.«
»Aber warum hat er mich nicht geholt?«
»Das hätte er fast getan!« Weitz biß die Zähne zusammen. »Schörner wollte Sturm zu Ihnen schicken. Ich wußte, daß alles verloren wäre, wenn man Sie verhört. Ich hatte keine Chance. Ich mußte ihnen jemand anderen zum Fraß vorwerfen.«
Anna starrte ihn an. »Was meinen Sie damit?«
»Ich habe Schörner gesagt, ich hätte gesehen, wie die kleine Greta in die Leichenhalle geschlüpft ist, bevor Sie hineingegangen sind. Ich habe ihm suggeriert, daß sie Miklos vielleicht etwas gegeben hat, um ihn zu töten.«
»Das haben Sie nicht getan!«
»Doch!« Weitz' Augen funkelten wie die eines Wahnsinnigen. »Ich habe ihm auch gesagt, daß ich sie vorher in Dornow mit verdächtigen Leuten gesehen hätte, vermutlich mit Polen. Ich habe ihm ein Dutzend Lügen erzählt. Alles, um Sie zu retten! «
»Aber Greta wußte doch gar nichts! Warum hat man sie getötet?«
»Sie sind so eine Närrin! Sie dachten, sie wüßte etwas. Man hat sie gefoltert, bis sie nutzlos war, und hat sie dann erschossen, um ein Exempel zu statuieren.«
Anna fühlte, wie die Beine unter ihr nachgaben. Weitz schaffte es gerade noch, sie nach hinten zu drücken, so daß sie in einem Arztstuhl zusammenbrach. »Ich kann nicht mehr«, stöhnte sie. »Nichts ist das wert!«
»Ich bin froh, daß Miklos gestorben ist«, sagte Weitz. »Er hätte ihnen alles erzählt. Ich hätte ihn selbst umgebracht, wenn ich die Chance dazu gehabt hätte. Sagen Sie mir, wann greifen sie das Lager an?«
Anna hob die Hände vors Gesicht. Sie weinte hysterisch und schluckte einen Schrei herunter. Erst vor wenigen Stunden hatte sie eine Chance gesehen, diesen Ort lebend zu verlassen, ein Licht der Vernunft in all dem Wahnsinn. Aber das war nur eine Illusion gewesen. Indem sie letzte Nacht einfach davongerannt war, hatte sie ihre Freundin einer unaussprechlichen Folter überantwortet ...
»Wann?« fragte Weitz drängend.
Anna ballte ihre zitternden Hände zu Fäusten. Nur Zorn konnte sie jetzt noch retten. Sie dachte an den Tag, als Franz Perlman von der SS in Berlin ermordet worden war.
»20:00 Uhr«, flüsterte sie.
Weitz nickte. »Gut, gut. Ich möchte bereit sein. Wie viele Soldaten?«
»Keine Soldaten.«
»Was?«
»Es gibt keine Soldaten.«
»Keine Soldaten? Aber wie ...? Mein Gott,
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