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Schwarzer Tod

Titel: Schwarzer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Geschwindigkeit, Jacobs. Und von jetzt an strikte Funkstille. Machen Sie einen Sichtcheck, ob alle bei uns sind.«
    »Roger.«
    Liebevoll legte Sumner seine Hand auf die Drosselklappenhebel. Die Mosquito hatte sich als der Wunderbomber des Krieges erwiesen. Sie war vollkommen aus Sperrholz gebaut, weil sie in Friedenszeiten Luftrennen geflogen war, und trug keinerlei Bewaffnung zur Verteidigung. Sie verließ sich auf ihre unglaubliche Geschwindigkeit und Steigleistung, um jeder Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Sie konnte mit 265 Meilen pro Stunde mit einer vollen Bombenlast über Deutschland hinwegfliegen und dann auf 360 Meilen beschleunigen und so selbst den besten Nachtjägern der Luftwaffe entkommen. Als Harry Sumner Höchstgeschwindigkeit einstellte, brüllten die beiden MerlinMotoren auf wie Löwen, die man aus ihren Käfigen gelassen hatte.
    »Alle noch da, Jacobs?«
    »Alle bei uns, Sir«, erwiderte der Navigator.
    »Funktioniert das HzS-Radar?«
    »Bis jetzt.«
    »Dann suchen wir mal diesen verdammten Fluß.«
    Rachel Jansen kniete neben der Pritsche und sah auf ihre schlafenden Kinder hinunter. Sie lagen nebeneinander, unglaublich klein und verletzlich, mit friedlichen Gesichtern über der schäbigen Gefängnisdecke. Zwei Tage und zwei Nächte lang hatte Rachel diesen Moment zugleich herbeigebetet und gefürchtet. Sie wußte nicht, welche Wahl sie treffen sollte. Es war, als müsse man sich entscheiden, welches Auge man opfern wollte. Es war unmöglich.
    Vergeblich versuchte sie, die Erinnerungen zu verdrängen, die sie peinigten: Marcus' Gesicht, als er die Babys zum ersten Mal gesehen hatte, vor allem Hannah, die auf dem Speicher in Amsterdam geboren worden war; die Stunden, in denen Rachel einfach nur auf ihre kleinen Köpfe geschaut hatte, während sie an ihren Brüsten nuckelten, und vor Ergriffenheit über ihre Zartheit geweint hatte ...
    Hör auf! befahl sie sich. Du mußt wählen!
    Ihr erster Instinkt riet ihr, Jan mit dem Sohn des Schuhmachers in die Freiheit zu schicken. Um ihn hatte sie in den vergangenen zwei Wochen am meisten Angst ausgestanden. Aber jetzt schien festzustehen, daß Klaus Brandt bald sterben würde. Danach war die Gefahr für beide Kinder gleich groß. Rachel dachte kurz an Marcus. Wenn ihr Ehemann noch leben würde, würde er Jan wählen. Der Familienname muß weiterleben, würde er feierlich sagen. Aber Rachel fühlte sich dem Namen Jansen nicht verpflichtet. Marcus war tot. Schuldgefühle durchzuckten sie, als sie daran dachte, wie sein Vater neben ihr im E-Block gestorben war; doch sie schob den Gedanken rasch beiseite.
    Als sie in die Gesichter ihrer Kinder blickte, gab Rachel den Versuch einer Entscheidung auf. Sie legte Jan die Hand auf die Stirn. Er war drei Jahre alt. Drei Jahre alt und schon einer der letzten Überlebenden seiner Generation. Das konnte man unmöglich begreifen, und doch war es Realität. Hannahs zweiter Geburtstag war verstrichen, während sie in einem stickigen, eiskalten Viehwaggon voller kranker und sterbender Juden gefahren waren. Rachel erinnerte sich daran, wie sie den kleinen Dreidl in Stroh eingewickelt und ihn ihr wie ein Geschenk überreicht hatte. Hannah hatte das alte Spielzeug sofort erkannt, aber sie hatten alle getan, als wäre es neu und kostbar.
    Rachel bekam eine Gänsehaut. Sie hatte immer schon ein außergewöhnliches Gefühl von Frieden empfunden, wenn sie ihre Tochter anblickte. Es war, als würde sie sich selbst ansehen. Es war kein Spiegelbild, sondern eher wie eine Reflexion im Wasser, als wenn ein phantasievoller und schmeichelnder Künstler Rachel als Kind dargestellt hätte. Er hatte ihre Augen vergrößert, den Mund voller gestaltet und ihre Stirn etwas erhöht; und jedes Wort, das Hannah sprach, jede Frage, die sie stellte, verriet Rachels eigene Neugier. Jan war wie Marcus: reserviert, ein kleiner Gentleman.
    Rachel zuckte zusammen, als die Stimme von Avram Stern durch die Dunkelheit drang. Ihre Zeit lief ab. Einen Augenblick lang hatte sie sogar mit dem Gedanken gespielt, den Dreidl aus ihrer Kitteltasche zu ziehen und ihn auf den groben Bodendielen zu drehen. Sie konnte zwei von seinen vier hebräischen Buchstaben Jan zuordnen und zwei Hannah und Gott entscheiden lassen. Aber das wollte sie nicht. Selbst Gott hatte in dieser Entscheidung keinen Platz.
    Bei diesem Gedanken begriff Rachel plötzlich genau, wer und wo sie war. Sie war nicht die Mutter von Moses, die ihr Kind in ein Weidenkörbchen gesetzt hatte, um es

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