Schwarzer Tod
weitere Frauen hoben die Hände.
»Das sind 25 Erwachsene«, sagte Avram, »einschließlich Rachel Jansen und der Sephardin, die im Kinderblock schläft. Wie viele von den übrigen Frauen sind zwischen 31 und 40?«
14 Frauen hoben die Hände.
Avram zählte leise. »Das sind 39. Wir haben nur Platz für 35 Erwachsene. Behaltet Eure Hände oben.«
»Um Gottes willen«, rief eine Frau, die mit den letzten ihre Hand gehoben hatte. »Sind denn vier mehr so entscheidend?«
»Vier mehr könnten alle anderen umbringen«, antwortete Stern. »Das hängt davon ab, wie lange Sie drinbleiben müssen, um überleben zu können. Mir wurden nur 25 Erwachsene erlaubt. Ich überschreite auch so schon die zulässige Grenze.«
Avram sah die Frauen an, die ihre Hände nicht gehoben hatten. Einige starrten zu Boden; andere weinten ungeniert. Die alte Frau, die schon mehrfach zuvor gesprochen hatte, versuchte, sie zu trösten.
Stern blinzelte, als eine Hand sich senkte. Eine Frau, die etwa Ende 20 sein mußte, stand auf. »Ich bleibe hier«, sagte sie.
»Aber du bist jung«, protestierte eine ältere Frau. »Du wirst irgendwann Kinder bekommen. Du verdienst einen Platz.«
Die Freiwillige sah zu Boden und schüttelte den Kopf. »Ich werde niemals Kinder haben. Man hat mich in Auschwitz sterilisiert. Das andere Mädchen ist gestorben, und ich wurde hierhergeschickt. Ich weiß nicht, warum. Es ist auch nicht wichtig. Ich bleibe.«
»Gott segne dich«, sagte die alte Frau.
»Macht 38«, verkündete Avram stoisch.
Zwei weitere Hände wurden gesenkt. »Ich habe meine Kinder schon lange verloren«, sagte eine Stimme. »Und bei der letzten Selektion auch meinen Ehemann.«
»Dasselbe gilt für mich«, sagte eine andere Frau. »Ich glaube nicht, daß es wichtig ist, wo wir sind. Ich habe schon vorher Bombenangriffe erlebt. Wenn eine Bombe auf den E-Block fällt, dann wird sie jeden töten, der darin ist. Ich versuche mein Glück hier draußen.«
Stern hatte einen Anflug von Gewissensbissen wegen seiner Lüge, aber er konnte nichts daran ändern. Er sah zum hinteren Ende der Baracke. Kein Zeichen von Rachel Jansen. Er wollte gerade ihren Namen rufen, als plötzlich eine kahlköpfige Frau aufsprang und auf jemanden auf den Boden deutete.
»Sie lügt! Sie ist 42. Wie kannst du das tun, Shoshana?«
Die Frau, auf die sie zeigte, hielt ihre Hand steif und fest in die Höhe. »Ich bin 39!« behauptete sie.
Die Anklägerin schüttelte heftig den Kopf. »Ich kenne sie aus Lublin! Sie ist 42!«
Die Angeschuldigte stand auf, und ihr Gesicht verzerrte sich vor Entsetzen. »Ja, ich bin 42! Ist das so alt? Warum sollte ich nicht die Chance bekommen zu leben. Seht euch meine Hüften an! Ich kann noch Kinder bekommen!«
Sie drehte sich im Kreis und stellte beinahe unzüchtig ihren übriggebliebenen sexuellen Charme zur Schau. Stern sah, daß einige der anderen Frauen, die ebenfalls ausgeschlossen worden waren, begannen, sich aufzuregen. Er trat vor, um die überspannte Frau zu bändigen.
»Wenn du unbedingt leben willst, dann nimm meinen Platz!«
Eine andere Frau war aufgestanden. Sie war vollkommen ausgezehrt und fast kahl. Ihre Haut glich Pergament; aber sie war kaum älter als 30. »Ich komme aus Warschau«, sagte sie. »Von meiner Familie ist niemand übrig. Nimm meinen Platz ein.«
»Nein!« protestierten verschiedene andere Frauen. »Du hast deinen Platz verdient.«
Die junge Frau hob resigniert die Hände. »Bitte«, sagte sie. »Ich bin so müde.«
Stern trat vor seinen Vater. »Hände runter«, sagte er. »Es ist entschieden.« Er rief in den hinteren Teil der Baracke: »Frau Jansen, es ist Zeit.«
»Wie sollen wir den E-Block erreichen, ohne daß die Deutschen uns sehen?« fragte eine junge Frau.
»Ich habe vor, kurz vor dem Angriff den Strom kurzzuschließen. Sie müssen nur 15 Meter über freies Gelände laufen, um die Gasse zu erreichen. Jede Frau muß mindestens ein Kind in den E-Block mitnehmen, einige zwei. Sobald ihr drin seid, müßt ihr alles tun, was nötig ist, damit ihr hineinpaßt. Die Decke ist niedrig, aber ihr könnt die kleinen Kinder auf eure Schultern nehmen.«
»Was ist mit dem Wachtposten am Tor? Da können wir nicht hinaus, und viele Kinder können noch nicht über den Zaun klettern.«
»Ich werde den Wachmann töten«, sagte Stern. »Mein Vater wird seine Uniform anziehen und an seiner Stelle Posten beziehen, bis ihr gehen müßt. Ich schlage vor, ihr geht um zehn vor acht hinüber. Benutzt eure eigene
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