Schwarzer Tod
er den Sturmbannführer auch haßte, Schörner verhielt sich keineswegs so, als würde er sich wegen irgend etwas schuldig fühlen.
»Ich bin durchaus bereit, nach Berlin zu fahren«, sagte Schörner gleichmütig, »aber sollten wir diesen Mann vorher nicht wenigstens um seine Papiere bitten? Ein Offizier vom Sicherheitsdienst, der seinen Dolch verliert, verdient es, selbst unter Arrest gestellt zu werden.«
Sturm sah Stern verunsichert an. »Sturmbannführer?«
Stern blickte ungeduldig auf die Uhr, ganz der Offizier, der es eilig hat. »Sie werden das bereuen«, sagte er, zog seine Brieftasche heraus und reichte sie Sturm, der sie sofort an Schörner weitergab.
»Diese Papiere berechtigen Sie, die Sicherheitsvorkehrungen in Totenhausen zu inspizieren.« Schörner blickte hoch. »Aber sie berechtigen Sie nicht, mich unter Arrest zu stellen.«
»Laut Gesetz hat der Sicherheitsdienst sämtliche polizeiliche Befugnisse über die SS«, erklärte Stern. »Ich brauche keinen schriftlichen Befehl, um einen Verräter zu verhaften.« Drohend senkte er die Stimme. »Und jetzt gehen Sie zu meinem Wagen.«
»Diese Befehle stammen von vor vier Tagen«, bemerkte Schörner, der keinen Zentimeter zur Seite wich. »Haben Sie vier Tage gebraucht, um von Berlin hierherzufahren?«
Bevor Stern darauf antworten konnte, fuhr Schörner fort. »Ihre Sonnenbräune finde ich ebenfalls sehr interessant. Scheint jetzt mitten im Winter im Tiergarten die Sonne?«
Stern hob die Waffe vor Schörners Gesicht.
Der Sturmbannführer wirkte vollkommen unerschrocken.
Stern hätte nur allzugern abgedrückt, aber das wäre vermutlich der schlimmste Fehler gewesen, den er machen konnte.
»Wo ist Ihr Dolch, Sturmbannführer?« fragte Schörner.
Stern bemühte sich, nicht auf die leere Scheide an seinem Gürtel zu blicken. Das bewies beachtliche Beherrschung, wenn man bedachte, daß in seinem Kopf völlige Leere herrschte.
Schörner sah ihn nachdenklich an. »Bei allem Respekt, Sturmbannführer, an welchem Tag haben Sie Ihren Dolch erhalten?«
Es ist schon merkwürdig, dachte Stern. Er fühlte sich an die Szene im jüdischen Frauenblock erinnert, als man ihn aufgefordert hatte zu beweisen, daß er ein Jude war. Nur leider fragte ihn Sturmbannführer Schörner nicht, welches Jahr der hebräische Kalender schrieb. »Ich bin nicht hier, um Ihre Fragen zu beantworten«, fuhr er Schörner an. »Sondern Sie werden meine beantworten.«
Schörner blickte zu Sturm. »Was denken Sie, Hauptscharführer? Eine ganz einfache Frage, finden Sie nicht? Selbst Sie könnten diese Frage beantworten.«
Günther Sturm wirkte wie ein Kampfhund, dem zwei Herren widersprechende Befehle gaben. Er haßte Schörner aus tiefstem Herzen -, doch wegen genau der Eigenschaften, die er an dem Sturmbannführer am meisten verabscheute, konnte er sich unmöglich vorstellen, daß Schörner Deutschland verriet. Mit quälender Langsamkeit drehte er die Luger um, bis sie direkt auf Sterns Bauch zielte.
»Wenn der Sturmbannführer die Frage bitte beantworten würde?« sagte er beinahe entschuldigend. »Wann haben Sie Ihren Dolch erhalten?«
Stern hatte immer gewußt, daß dieser Augenblick irgendwann kommen würde. Ein Augenblick, in dem ihm keine Möglichkeit mehr blieb. Eine wirklich aussichtslose Situation. Er hatte einfach seine Möglichkeiten überschätzt, und gleichzeitig hatte er die Fähigkeiten eines Kriegsveteranen wie Wolfgang Schörner zu niedrig bewertet. Er dachte an die Zyankalikapsel, die er vorhin aus dem Medaillon mit dem Davidstern genommen und in die Hosentasche gesteckt hatte. Aber er hatte keine Lust, sie jetzt zu schlucken. Ganz gleich, was die Mistkerle ihm auch antaten, er würde nicht zusammenbrechen, bevor das Gas das Lager auslöschte.
»Ich erinnere mich nicht an den genauen Tag«, sagte er. »Es war 1940.«
»Das ist wirklich hochinteressant«, meinte Schörner, »zumal alle Zeremoniendolche nur am neunten November feierlich übergeben werden.«
Stern sah auf die Uhr. 19:40. Er dachte nur daran, den Frauen und Kindern Zeit zu verschaffen, um zum E-Block zu gelangen. Und er wußte, daß er das schaffen konnte. »Es gibt nur eine Lösung«, sagte er. »Rufen Sie Obergruppenführer Kaltenbrunner im Hauptquartier des SD in Berlin an.« Stern drehte die Walther um und reichte sie mit dem Knauf voran Hauptscharführer Sturm.
Verwirrt akzeptierte der SS-Mann die Waffe.
Schörner lächelte schwach. »Wo haben Sie diesen Mann getroffen,
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