Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schwarzer Tod

Titel: Schwarzer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
Vom Netzwerk:
versteckt hatten, und war rasch ihrem Beispiel gefolgt. Es war eine sehr kluge Entscheidung gewesen. Seitdem hatte sie zwei überraschende Suchaktionen miterlebt.
    Aber warum starren sie so? dachte Rachel.
    »Mein Sohn!« jammerte Benjamin Jansen zum hundertsten Mal. »Reichten denn mein Heim und mein Geschäft nicht? Mußten sie mir auch noch meinen einzigen Sohn nehmen?«
    »Still«, flüsterte Rachel und deutete auf die schlafenden Kinder. »Schlaf ist ihre einzige Fluchtmöglichkeit.«
    Der alte Mann schüttelte hoffnungslos den Kopf. »Es gibt keine Flucht von diesem Ort - außer der durch die Hintertür.«
    Rachels junges Gesicht verhärtete sich. »Hör auf zu jammern. Wenn dieser Schuhmacher dich nicht niedergeschlagen hätte, wärst du schon zur Hintertür hinaus.«
    Der alte Mann schloß die Augen.
    Obwohl sie erschöpft war, erwiderte Rachel trotzig den starrenden Blick der Frau, die am härtesten wirkte: eine grobschlächtige Slawin mit aschfarbenem Haar. Rachel achtete nicht weiter auf den Fatalismus des alten Mannes, was jedoch nicht einfach war. Allein der Gedanke an die »Hintertür« lahmte alle. Sie hatte bereits gelernt, daß das unregelmäßige Muster der gedämpften Knalle, das zwischen den Bäumen hinter dem Lager ertönte, und das sie anfangs für Gewehrschüsse gehalten hatte, in Wirklichkeit Gasexplosionen durch die geschwollene Haut verwesender Kadaver war, die man in flachen Gruben hinter dem Lager verscharrt hatte. Das war der Ruheplatz ihres Ehemannes ...
    »He!« bellte jemand rauh. »Weißt du nicht, warum dich alle anstarren?«
    Rachel schlug blindlings mit der Rechten um sich und riß die Augen auf. Sie war gerade lange genug eingenickt, daß die Slawin sich an ihre Pritsche hatte heranschleichen können. »Laß uns in Ruhe!« knurrte sie.
    Die massige Frau dachte jedoch nicht daran zurückzuweichen. Statt dessen hockte sie sich hin und piekste Benjamin Jansen mit einem pummeligen Finger. »Das hier ist der jüdische Frauenblock. Er kann nicht hierbleiben. Die SS toleriert einen gewissen Verkehr zwischen der Frauen- und der Kinderbaracke. Das hilft, die Ruhe zu wahren. Aber im Frauenblock sind keine Männer erlaubt. Der alte Bock kann sich noch anhören, was ich zu sagen habe, dann muß er gehen.«
    Rachel blickte zu ihrem Schwiegervater, um sicherzugehen, daß er alles verstanden hatte.
    »Ihr wart noch nie in einem Lager, hm?« wollte die Frau wissen. »Keiner von euch.«
    »Wir sind durch Ausschwitz geschleust worden«, erwiderte Rachel. »Aber das hat nur eine Stunde gedauert. Das alles ist ziemlich neu für uns.«
    »Sieht man.«
    »Woran?«
    Die Frau schnitt eine höhnische Grimasse. »An hundert verschiedenen Dingen. Aber das spielt keine Rolle. Da dein reicher Ehemann jetzt durch die Hintertür verduftet ist, bist du dir vielleicht nicht mehr zu fein, dich mit uns abzugeben, hm? Oder möchtest du lieber in den >Prominentenblock< verlegt werden?«
    »Nein, nein. Natürlich wollen wir keine Sonderbehandlung.«
    »Sehr gut. Denn hier gibt es keinen >Prominentenblock<. Den gibt es nur in Buchenwald. In Totenhausen sind wir alle gleich.«
    Die Frau schien eine sehr große Befriedigung aus dieser Tatsache zu ziehen. Rachel streckte die Hand aus. »Ich bin Rachel Jansen. Es ist mir eine große Ehre, Sie kennenzulernen.«
    Rachels höfliche Manieren bewirkten nur ein spöttisches Grinsen bei der Frau. »Ich bin Frau Hagan«, verkündete sie. »Ich bin Blocksprecherin. Und außerdem bin ich Polin und Kommunistin.« Sie sagte das, als wolle sie damit den Teufel persönlich herausfordern. »Ich bin der Kapo der weiblichen jüdischen Gefangenen. Natürlich weil ich Jiddisch verstehe. Hier im Lager sind nicht alle Juden, weißt du? Es gibt christliche Polen, Russen, Letten, Esten, Zigeuner, Ukrainer ... sogar Deutsche. Und noch mehr Kommunisten. Hinter dem elektrischen Zaun versammelt sich die ganze Welt.«
    Frau Hagan warf Benjamin Jansen einen mürrischen Blick zu. »Ich bin hier, um euch die Tatsachen des Lebens zu erklären, des Lagerlebens, bevor eure Unwissenheit euch und andere das Leben kostet.«
    Rachel nickte schnell. »Wir wissen Ihre Freundlichkeit zu schätzen.«
    Frau Hagan schnaubte verächtlich. »Als erstes sage ich dir Folgendes: Was ihr auch draußen gewesen seid ... vergeßt es! Je früher, desto besser. Je weiter oben ihr auf der Leiter gestanden habt, desto schwerer wird es euch fallen, euch an das Lagerleben zu gewöhnen. Was warst du? Und was hat dein Ehemann

Weitere Kostenlose Bücher