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Schwarzer Tod

Titel: Schwarzer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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auf diese Weise, tauschten abwechselnd ihre Erinnerungen aus. Während des Kreises wurden die Kinder aus dem Block verbannt, und Rachel erfuhr bald, aus welchem Grund. Die Geschichten, die hier erzählten wurden, hätten die empfindsamen Gemüter der Kinder in schwere Depressionen gestürzt, ihnen Alpträume bereitet und sie für immer verängstigt. Es fiel schon den Erwachsenen schwer genug, sie zu ertragen. Jede Frau hier im Raum besaß unauslöschliche Narben. Was konnte es schaden zu hören, wie die anderen die ihren entblößten? Wenigstens konnten sie alle so ihr Elend teilen.
    Aber es war nicht der Sinn des Kreises, Leid zu teilen. Sein Zweck war, es aufzuzeichnen. Eine Frau, die nur Steno genannt wurde, schrieb alles in Kurzschrift nieder, was gesagt wurde; sie achtete vor allem auf Namen, Daten und Orte. Jede Nacht wurden Stenos Anmerkungen in einem Raum hinter der Wand verborgen, dort, wo sich die Wärmedämmung befunden hätte, wenn die Baracken denn isoliert worden wären, was natürlich nicht der Fall war. Nachdem Rachel die Eintragungen einer einzigen Nacht gehört hatte, wußte sie, daß sie niemals den Mut aufbringen würde, den ganzen Text zu lesen. Die Aufzeichnungen waren nichts weniger als ein Zeugnis für Gottes Unwillen, oder schlimmer noch, vielleicht auch für seine Unfähigkeit, seine Diener zu beschützen.
    Nur mit großer Mühe gelang es Rachel, die Stimme der Sprecherin auszublenden. Sie bewunderte den Sinn des Kreises, aber in den letzten vier Stunden hatte sie die Zeit genutzt, um zu verdauen, was während des Tages geschehen war, und zu versuchen, dieses Wissen für das Überleben ihrer Familie einzusetzen. Im Gegensatz zu den anderen Witwen, die in verschiedenen Stadien der Lethargie durchs Lager wanderten, bemühte sich Rachel, jedes Gespräch aufzuschnappen und auf jede Informationen zu achten, die ihr vielleicht helfen konnte, ihre Kinder zu beschützen.
    Hoffnung und Verzweiflung - beide Extreme hatte sie bereits erlebt. Als erstes hatte sie erfahren, daß ihre Kinder niemals aus der Reihe in Auschwitz ausgewählt worden, sondern direkt in die Gaskammern geschickt worden wären, hätte man sie und ihre Familie ein paar Monate früher gefangengenommen. Aber aufgrund des internationalen Drucks und aufgrund der Gerüchte über diese Nazi-Todeslager hatte die SS beschlossen, in einigen Lagern besondere »Familienabteilungen« einzurichten. Man genehmigte Inspektoren des Roten Kreuzes Zugang, die dann auf festgelegten Routen in Bereiche geführt wurden, wo sie ein Familienleben sahen, das sich gar nicht so sehr von dem vor den Zäunen unterschied abgesehen einmal von etwas geringerem materiellem Komfort. Die Inspektoren gingen und waren überzeugt, daß die grausigen Gerüchte Übertreibungen verängstigter Juden waren.
    Frau Hagan erzählte Rachel, daß Doktor Brandt sofort darauf angesprungen war, als Reichsführer Himmler dieses Programm ihm gegenüber erwähnt hatte. Das System bot auch für die Juden gewisse Vorteile. Einigen Familien war die Qual erzwungener Trennung erspart geblieben, was laut Frau Hagans Bekunden für manche schlimmer war als der Tod. Sie hatte mitansehen müssen, wie solche Trennungen Mütter in den Selbstmord getrieben hatten. Aber das Merkwürdige war, daß seit der Übernahme des Familienprogramms keinem einzigen Inspektor des Roten Kreuzes der Zugang zum Lager Totenhausen gewährt worden war.
    Erst gestern hatte Rachel erfahren, warum, und die Erkenntnis hatte sie in einen dauerhaften Zustand des Entsetzens gestürzt. Es schien, daß bis vor kurzem Klaus Brandts Talente mit den Gasexperimenten für Reichsführer Himmler nicht genügend ausgelastet gewesen waren. Als Hobby hatte er private Forschungen auf dem Feld der spinalen Meningitis, der Rückenmarksentzündungen begonnen. Einige behaupteten, er tue das im Hinblick auf die Entwicklung eines patentierbaren Medikaments, mit dem er nach dem Krieg ein Vermögen machen könnte. Auf jeden Fall benötigte Brandt für seine Privatforschungen Kinder, und zwar in einem erschütternden Ausmaß. Seine übliche Methode war es nämlich, Meningitiserreger in gesundes Rückenmark zu injizieren und dann die Wirksamkeit oder das Versagen verschiedener Wirkstoffe gegen diese Infektion aufzuzeichnen. Brandts Übernahme des Familienlagersystems garantierte ihm einen ständigen Zustrom von Kindern für seine Experimente.
    Frau Hagan behauptete zwar, daß die Meningitisforschung in den letzten Wochen nahezu stagniert sei,

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