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Schwarzer Tod

Titel: Schwarzer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Hagan. »Irgendwann wird immer abgerechnet. Die Rote Armee wird kommen und uns befreien. Stalin wird Hitler im Eis von Rußland zerschmettern und seine Panzer in den Pripjet-Sümpfen ersäufen. Wir müssen bereit sein, wenn die Soldaten kommen. Und wir müssen ihnen die Schlächter ans Beil liefern.«
    »Stalin wird nicht kommen. Hitler hätte 1941 beinahe Moskau eingenommen. Außerdem haßt Stalin die Juden genauso wie Hitler. Es spielt keine Rolle. Die Straßen von Moskau werden bald deutsche Namen haben.«
    »Lügnerin!« ereiferte sich Frau Hagan. »Hohlköpfige Närrin! Frag doch die Holländerin. Sie ist aus Amsterdam gekommen. Sie hatte ein Radio. Frag sie nach Stalin. Frag sie nach der Roten Armee!«
    Alle Blicke richteten sich auf Rachel. »Sag es ihnen!« drängte Frau Hagan.
    »Es stimmt«, bestätigte Rachel. »Die Russen haben im Dezember eine Winteroffensive begonnen. Und nur ein paar Tage bevor man mich verhaftet hat, habe ich gehört, daß sie nach Polen einmarschiert sind.«
    »Ich hab's euch ja gesagt!« meinte Frau Hagan triumphierend.
    »Ich habe auch über BBC gehört, daß sie die Deutschen in der Ukraine zurückgetrieben haben.«
    Nahezu 50 Augenpaare richteten sich jetzt auf Rachel, und 50 Münder bombardierten sie mit Fragen. Was geschah in Estland? In Warschau? In Italien? Was war mit den Amerikanern? Den Engländern?
    »Leider weiß ich nicht viel«, entschuldigte sich Rachel. »Es gibt Gerüchte über eine Invasion noch in diesem Jahr.«
    »Das sagen sie jedes Jahr«, erklärte eine verächtliche Stimme. »Sie werden nicht kommen. Um uns kümmern sie sich nicht.«
    Ein langgezogener Schrei drang durch die Nacht. Die Frauen im Kreis verstummten. Rachel hatte die Schreie schon früher gehört, aber sie waren von weiter weg gekommen, aus Richtung der SS-Baracken. Es war ihr nicht gelungen, Frau Hagan auf diese Schreie aufmerksam zu machen. Doch als nun der zweite Schrei in unmittelbare Nähe ertönte, verriet Rachel der Ausdruck auf Frau Hagans Gesicht, daß sie eine reale Gefahr witterte.
    »Ich muß vielleicht mit Frau Komorowski sprechen«, sagte die Blocksprecherin.
    »Riskieren Sie das nicht«, meinte eine Frau. »Die sollen ihre Probleme doch selbst lösen.«
    Frau Hagan dachte eine Weile nach. »Ich warte noch ein paar Minuten. Erzähl deine Geschichte zu Ende, Brana.«
    »Soll ich die Papiere verstecken?« fragte Steno. »Was ist, wenn die Schreie eine Suchaktion auslösen?«
    »Beende die Geschichte.«
    Die Frau namens Brana setzte ihre Schilderung fort und erzählte von den offenen Lastwagen, die durch die eisige Kälte bis zu einem Gefängniszug an einer freien Bahnstrecke gefahren waren. Sie sprach von Familien, die wie Rachels Familie in ungeheizte Viehwaggons geladen worden waren, ohne Essen, ohne Wasser und ohne Toiletten. Unwillkürlich durchlebte Rachel den Alptraum ihrer eigenen Reise von Westerbork hierher, als sich ihr plötzlich die Nackenhaare sträubten.
    »Ruhe!« befahl sie scharf.
    Frau Hagan sah sie finster an. »Was ist los, Meisje?«
    »Da draußen ist jemand. Versteckt die Notizen.«
    Frau Hagan wirkte nicht überzeugt. »Heinke lauscht an der Tür. Sie hat nichts gehört.«
    »Ich sage euch, versteckt die Papiere!«
    Frau Hagan riß Steno die Notizen aus der Hand und schob sie unter ihren Kittel. Dann sah sie die Frau namens Heinke an, die an der Tür hockte. »Ist da was?«
    Die Wächterin schüttelte den Kopf, und Frau Hagan warf Rachel einen verächtlichen Blick zu.
    »SS!« zischte Heinke plötzlich. »In die Kojen!«
    Die Kerze wurde sofort gelöscht, und ein heftiges Gedränge folgte, als die Frauen auf ihre Plätze in den Etagenbetten huschten. Rachel vermutete, daß sie dieses Manöver offenbar tausendmal geübt hatten. Die einzigen Geräusche kamen von den Neulingen, die knurrten und fluchten, als sie sich in ihrer unerfahrenen Hast Zehen und Schienbeine stießen. Rachel bewunderte die Alteingesessenen. Sie selbst besaß ebenfalls die Fähigkeit, sich schnell zu bewegen, ohne dabei ein Geräusch zu machen; das hatte sie schon vor langer Zeit in Amsterdam gelernt, und es war nicht einfach gewesen.
    Rachel lag auf ihrer Pritsche und hielt den Atem an, während sie darauf wartete, daß das Knallen der Tür und schwere Schritte die Ankunft eines SS-Suchtrupps ankündigten. Statt dessen hörte sie jedoch ein verstohlenes Klopfen. Dann wurde die Tür einen Spalt geöffnet und ein Schatten huschte herein. »Hagan?« flüstere der Schatten.
    »Irina? Bist du

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