Schwarzer Valentinstag
eine sagt dies, der andere das. Aber das Sterben wird immer gewaltiger und die Menschen meinen, dass es erst aufhört, wenn sie einen Schuldigen bestrafen.«
»Und da haben sie uns Juden dafür verantwortlich gemacht«, setzte Elieser hinzu, »wir hätten die Brunnen vergiftet, um die Christenheit auszurotten. Aber es sterben Juden wie Christen. Ich kenne einige jüdische Familien, die ganz ausgestorben sind.«
»So haben sie viele Juden ermordet, unsere Häuser verbrannt«, sagte Esther leise, »die Ärmeren waren ihnen fast hilflos ausgeliefert. Wir haben Schreckliches gesehen. Aber wir selbst konnten mit viel Geld vom König von Aragon einen Schutzbrief für die ganze Familie lösen, mussten aber das Land, unsere Heimat, verlassen. So sind wir hier. Wir hoffen natürlich auch, dass die Pest nicht hierher kommt.«
Im Raum war langes bedrücktes Schweigen.
Christoph blieb bei den Juden und machte sich nützlich. Er half die Pferde zu versorgen, die Ladung neu zu ordnen und festzubinden. Er half die Kammern sauber zu machen, auszukehren und die Böden zu schrubben. Ein Außenstehender hätte ihn für einen Knecht gehalten.
Er stellte sich vor, wie der Frosch sich wunderte, wo er geblieben war.
Die Sonne zeigte sich wieder, ein lauer Wind strich rheinabwärts. Die Auwälder zeigten ein zartes Grün, die ersten Blüten standen auf den Wiesen und die Vögel begannen zu singen.
Es hieß, der Rhein sei wieder passierbar.
Gegen Abend ertönte ein eigenartiger Singsang von der Straße her. Es war ein Zug von vielleicht dreißig Menschen, die unter Singen einem Kreuz folgten. Mönche in braunen Kutten gingen voraus. Weihrauchfässer wurden geschwungen. Sie betraten den Hof der Herberge und stellten sich um das Kreuz.
Dann richtete sich einer der Mönche auf und lud alle Leute in der Herberge ein zu beten gegen die Pest!
Den Hof füllten immer mehr Menschen, die sich auf die Knie warfen, an den Fenstern der Herberge standen viele, auch auf der Holzgalerie knieten Menschen mit gefalteten Händen.
Die Mönche begannen eine Litanei zu singen, das Volk antwortete. Der Gesang ging hin und her.
Da richtete sich ein Junge aus der knienden Haltung auf, den Blick starr auf die andere Seite des Hofes gerichtet. Auch dort war ein Mann aufgestanden, ein dicklicher, untersetzter Mann in einer auffälligen Kleidung, der sich durch die kniende Menge auf ihn zuarbeitete.
Dann war Christoph, den die Juden bis zum Rhein beschützen wollten, verschwunden.
Christoph rannte und keuchte – nasse Wiesen, Wasser, ein Wäldchen. Zweige schlugen ihm ins Gesicht. Gegen das Abendlicht stand hell der Rhein. Zwei Fähren brauchte man, um über seine beiden Arme auf die Straßburger Seite zu kommen. Auf welcher Seite waren sie gerade?
Er hatte Glück, die erste Fähre war auf seiner Seite. Aber er war der Einzige, der jetzt am Abend noch hinüberwollte. So war das Übersetzen teuer, es verschlang fast sein ganzes Geld, der Rest würde gerade für die zweite Fähre reichen. Er würde als Bettler ohne einen Heller in Straßburg ankommen.
Nachdenklich schaute er in das ziehende strudelnde Wasser, über das die Fähre gleichmäßig und fast geräuschlos glitt.
Juden. In Stuttgart gab es Juden. Sie hatten aber keinen guten Ruf. Sie hatten Jesus Christus ans Kreuz geschlagen und hassten die Christen, wie es hieß. Sie konnten kein Handwerk, waren auch keine Bauern, sondern verliehen Geld gegen Zinsen, was Christen nicht durften. Wucherer, sagten viele. Ihr Ziel war es, die Christen zu verderben.
Andererseits hatte er seinen Vater einmal sagen hören: Ich habe nichts gegen Juden. Das sind rechtliche Leute, wenn auch nicht jedermanns Sache. Aber mit ihnen mache ich gerne Geschäfte. Sie bezahlen pünktlich und zuverlässig. Sie sind als Geschäftsleute hart und auf ihren Vorteil bedacht, aber das bin ich auch, jeder christliche Kaufmann ist es und muss es zugeben, wenn er ehrlich ist.
Diese Juden hatten ihm helfen wollen, obwohl er ein Christ war. Gerade weil sie in derselben Lage waren wie er, hatten sie gesagt.
Als er ausgestiegen war, fuhr die Fähre wieder zurück. Christoph sah es ungern, aber der Fährmann hatte seine Hütte auf der anderen Seite des Rheins.
Der Fährmann der zweiten Fähre weigerte sich, so spät am Abend wegen eines einzigen Gastes noch überzusetzen. Christoph bat und beschwor ihn.
»Etwas ausgefressen?«, fragte der Fährmann, ein langer Kerl mit einem schiefen Gesicht, das aussah, als lache er,
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