Schwarzes Blut: Thriller (German Edition)
eine feuchte Schlinge um sein Handgelenk, in dem ein schneller, unregelmäßiger Puls schlug.
Junior hörte gedämpftes Stöhnen und Schreien, Flüche und Schläge aus den Nachbarzellen. Dann – als die Medikamente der anderen Insassen zu wirken begannen – war bis auf das insektenähnliche Summen der Glühbirne nichts mehr zu hören. Er war so erschöpft, dass er beinahe eingeschlafen wäre. Junior zwang die Augen auf und stemmte seinen Oberkörper mit zitternden schwachen Armen hoch. Sein Kopf baumelte von seinem Hals, er atmete kurz und röchelnd, dann endlich hatte er sich aufgesetzt und konnte die Beine über die Bettkante schwingen.
Er zog das gestohlene Skalpell aus dem Ärmel seines Overalls und betrachtete die kurze geschwungene Klinge. Junior fuhr mit der Fingerspitze darüber, spürte, wie sie die Rillen seines Fingerabdrucks durchtrennte. Als er über den geriffelten Griff strich, quoll ein Blutstropfen aus der Wunde.
Er klappte wie eine Stoffpuppe an der Hüfte zusammen, berührte die Fingerspitze mit der Zunge und saugte das warme, salzige Blut auf. Dann schloss er die Augen und genoss den Geschmack. Für das, was er morgen vorhatte, brauchte er Kraft. Er richtete sich wieder auf, ließ seinen Oberkörper gegen die kalte Fliesenwand zurückfallen, hielt das Skalpell fest umklammert und rammte es in die blutende Fingerspitze, sodass sich der Schnitt weiter öffnete und noch mehr Blut floss. Einzelne Tropfen regneten auf die Bettdecke, als er seine Hand gegen die Wand legte und mit dem Blut an seinen Fingern beschmierte.
Seine Motorik war mehr als unzuverlässig, und die Hand wirkte zu schwer für seinen Arm, doch er schaffte es, das Symbol an die Wand zu malen. Noch während er arbeitete, gerann das Blut zu klumpigen Schlieren.
Das Symbol, das er gezeichnet hatte, war ganz unverkennbar ein Pentagramm mit zwei nach oben gerichteten Spitzen. Allein bei seinem Anblick durchfuhr ein Energiestoß seinen Körper, sodass er sich umdrehen und im Schneidersitz auf dem Bett niederlassen konnte. Er legte die Handflächen auf die klamme Mauer zu beiden Seiten des fünfzackigen Sterns. Dann berührte er mit der Stirn (seinem dritten Auge) das Zentrum des Pentagramms und stimmte einen flüsternden Singsang an. Je länger er die Macht der Finsternis in sich aufnahm, desto stärker gewann seine dünne Stimme an Kraft und Selbstvertrauen – jedoch nicht an Lautstärke. Darauf achtete er besonders sorgfältig.
Gesättigt stieß sich Junior von der Wand ab. Sein Körper reagierte sofort. Neue Energie erfüllte seine schlaffen Muskeln. Er wirbelte herum, stellte die Füße auf den Boden, stieß sich vom Bett ab und stand wankend wie ein Fahnenmast im Wind da.
Du schaffst es, mein kleiner Liebling. Mamas Stimme sprach ihm Mut zu. Du schaffst es.
So vorsichtig wie ein Seiltänzer hob er einen Fuß, stellte ihn auf den Boden zurück und verlagerte sein Gewicht darauf. Dann wiederholte er das Ganze mit dem anderen Bein. Um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, streckte er beide Arme aus. Schweißgebadet ging er Schritt für Schritt auf die gegenüberliegende Wand zu, eine Reise von ungefähr zwei Metern. Er schaffte es tatsächlich.
Morgen würde er sogar laufen. Und zwar wie der Blitz von hier davonlaufen.
Als er sich umdrehte, überschätzte Junior seine Kräfte und wäre fast umgefallen, doch er kniff die Hinterbacken zusammen, spannte die Beinmuskeln an und schaffte es durch reine Willenskraft stehen zu bleiben. Dann taumelte er zum Bett zurück, fiel mit dem Gesicht voran darauf und spürte die feuchten Barthaare auf der Haut.
Langsam glitt er in den Schlaf hinüber, wobei er etwas in der Sprache murmelte, die ihm seine Eltern beigebracht hatten, noch bevor er Englisch gelernt hatte. Die Sprache der blutigen Rituale, die sie mit und an ihm abgehalten hatten. Sein kleiner Körper war das Gefäß gewesen, das sie aus ihrem grauen, trostlosen Alltag gerissen und zu einer fröhlichen Spielwiese auf der anderen Seite geführt hatte.
15
Skye hatte keine Erfahrung mit gesprächigen Männern. Die Männer, die sie kannte, redeten nur das Nötigste, als würde sie jedes einzelne Wort große Kraft kosten. Dieser blonde Mann war ganz anders. Während das Wohnmobil rumpelnd durch das Städtchen in Richtung des Saloons schaukelte, erzählte er lang und breit, wie er hinter das Steuer dieses ungewöhnlichen Gefährts gekommen war.
Sein Onkel hatte sich mehr schlecht als recht als Farmer im trockenen Grenzland
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