Schwarzes Blut: Thriller (German Edition)
Seither fand er ihre ständige, stumme Anwesenheit irgendwie tröstlich.
Er nickte ihr noch einmal zu. Als Antwort neigte sie fast unmerklich den Kopf. Er nahm seinen Hut vom Ständer neben der Tür, an dem auch Lavenders fingerförmiger alter Stetson hing. Gene ließ sich einen Augenblick Zeit, um sich in der Glasscheibe vor einem vergilbten Familienfoto zu betrachten, dann verließ er das Haus, wobei er unbewusst das Holster mit seiner Dienstwaffe zurechtrückte. Er ging zu seinem Streifenwagen und bereitete sich darauf vor, dem Ding gegenüberzutreten, das einst seine Schwester gewesen war.
Während der ersten Meilen wurde Skye von einer dämonischen Energie durch die Wüste getrieben. Sie sah unnatürlich scharf, die neu gewonnene Nachtsicht tauchte die hügelige Landschaft in eine silberne Version von Tageslicht. Schließlich hatte sie den Anderen abgeschüttelt und spürte mit einem Mal ihre Erschöpfung. Sie verlangsamte ihr Tempo, bis sie sich schließlich vorsichtig und mit müden Füßen in der Dunkelheit einen Weg durch die felsige Ebene bahnte.
Immerhin strömte noch genug vom Anderen durch ihre Adern, dass sie Timmy bei sich spüren konnte – und nicht nur als Erinnerung oder Vorstellung. Nein, er war wirklich hier bei ihr, schrie und rief ihren Namen.
Das Adrenalin besiegte die Müdigkeit. Skye rannte auf die Straßenlampen zu, die den Asphalt zu beiden Seiten wie eine Landebahn flankierten und sie nach Hause führen würden. Noch vor der Jahrtausendwende hatte Gene das Ranchland nach und nach an verschiedene Bauunternehmer verkauft. Die Vorstadt, die hier hatte entstehen sollen, war noch im Planungsstadium gestorben, und die bankrotten Spekulanten hatten sich aus dem Staub gemacht, bevor Gene auch nur einen Cent gesehen hatte. Die flackernden, summenden Laternen waren alles, was davon noch übrig war.
Sie kam zur selben Zeit wie ihr Bruder nach Hause. Gene stellte gerade den Streifenwagen unter dem Basketballkorb ab. Er sah sie schwitzend und keuchend die Einfahrt hinaufgehen, und sein Blick wanderte zu ihrem zerrissenen T-Shirt.
»Wie geht’s Timmy?«, fragte sie. Sie stützte die Hände auf die Knie und rang nach Luft.
»Gut. Ich hab vor ein paar Minuten mit Maria telefoniert. Wieso?«
»Ich seh besser nach«, sagte sie und ging zur Vordertür.
»Du bleibst hier«, sagte er und streckte den Arm aus, um sie aufzuhalten. Sie wusste genau, dass er nicht sie vor einer Gefahr beschützen wollte, sondern seinen Sohn vor ihr.
Gene lief die Treppe hoch, Skye blieb im Wohnzimmer. Maria packte die Stricksachen und ihre DVDs zusammen und plapperte dabei vor sich hin. Skye hörte nicht zu – sie bemerkte ihre Reflexion in dem verzierten Spiegel über dem Kamin. Ihr Haar war zerzaust, und sie hatte einen verschmierten Fleck auf der Wange – das konnte nur Blut sein.
Sie rieb sich mit dem Saum des T-Shirts über das Gesicht, als sie Genes Stiefel auf der Treppe hörte. Hoffentlich bemerkte er das Blut nicht.
»Timmy geht’s gut. Er schläft«, sagte Gene. »Wieso bist du so aufgeregt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nur so eine Ahnung. Nichts. Tut mir leid.«
Er starrte sie an, nickte und setzte sich auf einen der blau-weiß gestreiften Stühle, die seine Frau kurz nach ihrer Hochzeit gekauft hatte.
»Setz dich«, sagte er.
Sie nahm ihm gegenüber Platz. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, die Falten zeichneten sich so deutlich wie nie zuvor auf seinem Gesicht ab. Jetzt wirkte er eher wie fünfzig statt wie dreißig.
»Was ist gestern Nacht mit diesen Männern passiert?«, fragte er.
»Hab ich dir doch gesagt.«
Er schüttelte den Kopf. »Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für deine Lügen.«
»Ich lüge nicht, Gene.«
»Weißt du, worüber ich heute mit Dellbert Drum gesprochen habe?« Sie antwortete nicht. »Er war gestern Nacht ebenfalls am Tatort. Er hat deine Brille gefunden.«
Ihre Kehle schnürte sich zusammen. Sie zwang sich, Luft zu holen. »Was hat er damit vor?«
»Nichts. Wenn ich brav kooperiere.«
Gene schloss einen Augenblick lang die Augen. Skye bemerkte, dass er kurz vor einem Zusammenbruch stand. Sie beugte sich vor und nahm seine Hand. Er zog sie weg, als hätte er in eine offene Flamme gefasst.
»Noch mal, Skye. Was ist passiert?«
»Ich kann mich nicht an alles erinnern. Nur bruchstückhaft.«
»Sag mir alles, was du noch weißt.«
Sie erzählte ihm von den Männern im Diner. Wie sie ihr mit dem Auto gefolgt waren und sie in der Wüste umzingelt
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