Schwarzes Blut
von hinten gepackt und mit dem Gesicht gegen die Wand gerammt habe.« Ich schlürfe an meiner Cola. »Hat der Mann im Leichenschauhaus dir diese Details gegeben?«
An seinem erstaunten Gesichtsausdruck lese ich ab, daß ihm der Mann zumindest einige Fakten mitgeteilt hat. Er kann den Blick nicht von mir lassen. Meine Augen sind für ihn so groß wie das Meer und so schwarz wie die tiefste unterirdische Gletscherspalte. Unter dem Meer liegt geschmolzenes Grundgestein. Und unter meinen Augen nimmt er ein zeitloses Feuer wahr. Ihn schaudert, und das kann ich gut verstehen. Meine Worte sind so kalt.
»Es ist wahr«, flüstert er.
»Ja. Ich bin kein normaler Mensch.« Ich stehe auf und reiße ihm die Unterlagen aus der Hand, bevor er auch nur mit der Wimper zucken kann. Mein Blick durchbohrt ihn. »Geh nach Hause, Joel, wo auch immer dein Zuhause ist. Versuche nicht, mir zu folgen. Erzähl keinem von mir. Wenn du es doch tust, werde ich es erfahren, und dann muß ich dich suchen. Das kannst du nicht wollen, genausowenig, wie du es mit diesem Mörder aufnehmen kannst. Er ist wie ich, und er ist doch nicht wie ich. Wir sind beide grausam, aber er ist es grundlos und gnadenlos. Ja, es stimmt: Ich habe diese Frau umgebracht, aber das habe ich nicht aus bloßer Bösartigkeit getan. Ich kann sehr nett sein, wenn ich will. Aber wenn man mich in die Enge treibt, dann bin ich so gefährlich wie Eddie. Ich muß ihn in die Enge treiben, an eine ganz bestimmte Stelle, unter ganz bestimmten Umständen. Das ist der einzige Weg, ihn aufzuhalten. Aber du kannst nicht dabeisein. Wenn du dabei bist, stirbst du. Du stirbst auf jeden Fall, wenn du mich nicht in Ruhe läßt. Hast du verstanden?«
Er starrt mich an, wie eine verzerrte Erscheinung aus einer dunklen, fremden Welt. »Nein«, murmelt er bloß.
Ich trete zurück. »Verhafte mich.«
»Hä?«
»Verhafte mich. Versuche es. Ich habe zugegeben, eine Frau mit bloßen Händen umgebracht zu haben. Ich kenne Einzelheiten der Tat, die nur der Mörder kennen kann. Es ist deine Pflicht als FBI-Agent, mich festzunehmen. Hol deinen Revolver heraus und trage mir meine Rechte vor. Los!«
Mein Blick, der auf ihm lastet, hat seine Gehirnzellen kurzgeschlossen. Aber er steht auf, zückt den Revolver und richtet ihn auf mich. »Du bist festgenommen«, sagt er.
Ich fege seinen Revolver beiseite. Er landet hundert Meter weit im Wasser. Für ihn ist er einfach nur weg. Selbst im rubinroten Licht ist zu erkennen, wie sein Gesicht aschfahl wird.
»Siehst du«, sage ich sanft. »Mit mir kannst du solche Spiele gar nicht spielen. Dir fehlt die richtige Ausrüstung. Deine Waffe liegt auf dem Meeresgrund. Hör auf mich, Joel: Hab Vertrauen in mich, oder du landest auf dem Friedhofsgrund.« Ich tätschele ihm die Schulter und gehe an ihm vorbei. »Der nächste Bus kommt gleich. Die Haltestelle ist vorne am Eingang des Piers. Auf Wiedersehen!«
6.
KAPITEL
Ray sollte nicht mit nach Los Angeles fahren. Doch als die Sonne aufgeht und er aufwacht und ich ihm erkläre, was in Los Angeles vorgeht, besteht er darauf, mich zu begleiten. Wie ihm schaudert beim Gedanken an noch mehr Vampire! Und wie seine Furcht mir das Herz bricht, obwohl ich nüchtern betrachtet seiner Meinung bin. Für ihn sind wir noch immer böse. Doch er meint, zwei seien stärker als einer, und ich weiß, daß diese Art Mathematik ihre Berechtigung hat. Außerdem wird er ja doch bloß weiterhungern, wenn ich ihn nicht mitnehme. Wie lange er noch ohne Essen überstehen kann, weiß ich nicht. Ich selbst kann sechs Monate lang durchhalten, ohne Blut zu trinken. Wenigstens dann, wenn mir nicht gerade andere Vampire Messer in den Bauch rammen.
Jetzt wollen wir also alle beide nach Los Angeles. Ohne etwas im Magen fliegen wir in meinem Learjet Richtung Süden. Doch gleich nach der Landung, bevor wir irgend etwas anderes anfangen, müssen wir auf die Jagd gehen. Widerwillig stimmt Ray dem zu, wobei ich ihm versprechen muß, daß wir dabei niemanden verletzen. Ein Versprechen, das ich nur widerwillig gebe. Wenn man große Adern öffnet, weiß man nie so genau, was für Komplikationen dabei auftreten können.
Wir gehen zum Zuma Beach, nördlich von Malibu. Die Strande hier waren schon immer mein Lieblingsplatz, um mich an Opfer heranzupirschen. Jede Menge Touristen, Obdachlose, Betrunkene, alles Leute, die nicht sofort von jemandem vermißt werden. In jüngster Zeit, seit ich mit meinem unfreiwilligen Graf Dracula zusammen bin, bringe ich meine Opfer
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