Schwarzes Blut
zerlumpt und voller Essensreste und Blutflecken. Letztere sehen frisch aus. Auf ihrem Hals sind rote, kaum verheilte Flecken.
Ihr Sohn hat ihr Blut getrunken.
Rasch setze ich ein Lächeln auf. »Hallo! Mrs. Fender? Mein Name ist Kathy Gibson, ich bin eine Bekannte von Ihrem Sohn. Ist er da?«
Hübsch, wie ich bin, und gewandt, wie ich auftrete, locke ich sie aus der Reserve. Ich erschauere bei dem Gedanken an die Frauen, die Eddie sonst so zu seiner Mutter nach Hause bringt. »Nein. Er hat Nachtschicht. Er kommt erst spät nach Hause.« Sie verharrt und schaut mich prüfend an. »Wie war noch mal Ihr Name?«
»Kathy.« Meine Stimme klingt für sie sanft und schmeichelnd, dabei auf seltsame Art und Weise überzeugend. »So spät wollte ich eigentlich gar nicht mehr vorbeischauen. Hoffentlich störe ich Sie nicht?«
Sie zuckt mit den Schultern. »Bin bloß vorm Fernseher. Wieso hat Eddie nie von Ihnen erzählt?«
Ich blicke ihr in die Augen. »Wir kennen uns erst seit ein paar Tagen. Mein Bruder hat uns einander vorgestellt.« Ich füge hinzu: »Er arbeitet mit Eddie zusammen.«
»In der Klinik?«
Die Frau will mich aufs Glatteis führen. Ich ziehe die Stirn in Falten. »Eddie arbeitet doch gar nicht in einer Klinik.
Die Frau entspannt sich ein wenig. »Im Lagerhaus?«
»Ja. Im Lagerhaus.« Mein Lächeln wird breiter. Mein Blick dringt tiefer in sie ein. Diese Frau hier ist labil. Sie hat geheime Perversionen. Mein Blick läßt sie noch nicht mal mit der Wimper zucken. Sie steht auf junge Frauen, auf kleine Mädchen. Und Mister Fender? Ich füge hinzu: »Darf ich reinkommen?«
»Bitte?«
»Ich muß jemanden anrufen. Dürfte ich mal Ihr Telefon benutzen?« Dann setze ich noch eins drauf: »Keine Bange, ich beiße nicht.«
Volltreffer. Gebissen werden macht ihr Spaß. Ihr Sohn trinkt ihr Blut, und sie steht auch noch drauf. Obwohl ich mit Moral nun wirklich nichts am Hut habe, haben mich inzestuöse Beziehungen nie angemacht. Sie öffnet mir die Fliegentür.
»Selbstverständlich«, sagt sie. »Kommen Sie doch rein, bitte. Wen müssen Sie denn anrufen?«
»Meinen Bruder.«
»Ach so.«
Noch während ich hineingehe, kommt mein Geruchssinn auf Touren. Eddie hat vor kurzem hier geschlafen. Sie muß ihn hier tagsüber schlafen lassen und stellt ihm sicher keine Fragen zu seiner plötzlichen Sonnenallergie. Daß ich selbst die Sonne vertragen kann, ist hoffentlich mein As im Ärmel gegenüber dieser Kreatur. Selbst Yaksha, der doch zigmal stärker war als ich, hatte sich in der Sonne weniger wohl gefühlt als ich. Insgeheim hoffe ich, daß Eddie tagsüber noch nicht mal aus dem Haus kann ohne Sonnenschutzfaktor hundert, so wie Ray. Ich nehme nur das Innere des Hauses unter die Lupe, gleichzeitig jedoch achte ich auch auf die Geräusche draußen. Noch einmal lasse ich mich nicht unvorbereitet erwischen. Mrs. Fender bringt mich zum Telefon, das neben dem Schaukelstuhl steht. Halb verdeckt unter einem schmutzigen Geschirrständer liegt die Zeitschrift, die sie gerade gelesen hat. Ein altes Mad Heft . Mad -Hefte finde ich eigentlich ganz gut.
Ich wähle irgendeine Quatschnummer und spreche mit niemandem. Ich bin bei Eddie zu Hause. Er ist nicht da. Ich komme ein paar Minuten später. Tschüs dann. Ich lege den Hörer auf und richte den Blick auf die Frau.
»Hat Eddie heute abend schon mal angerufen?« frage ich.
»Nein. Warum sollte er auch? Er ist doch erst vor ein paar Stunden weg.«
Ich trete näher auf sie zu. »Hat gar niemand angerufen?«
»Nein.«
Sie lügt. Das FBI hat angerufen, wahrscheinlich sogar Joel selbst. Weder Joel noch sonst jemand, der mit dem Fall zu tun hat, war jedoch hier. Das würde ich riechen. Früher oder später werden die Behörden aber ein Auge auf das Haus hier werfen. So dramatisch, wie es sich anhört, muß es gar nicht ablaufen. Eddie wird ihnen nicht so einfach auf den Leim gehen, und ganz sicher trifft er sich hier auch nicht mit seiner Kohorte. Das Lagerhaus muß der Schlüssel sein. Ich brauche die Adresse. Ich gehe noch einen Schritt auf die Frau zu und dränge sie dabei auf einen Raumteiler zurück, der das kärglich eingerichtete Wohnzimmer von der versifften Küche trennt. Meine Augen nehmen jetzt ihr ganzes Blickfeld ein, sie sind alles, was sie sieht. Für Spitzfindigkeiten bleibt mir keine Zeit mehr. Ihr Wille ist gebrochen. Direkt vor ihr bleibe ich stehen.
»Ich werde Eddie jetzt besuchen«, erkläre ich leise. »Sagen Sie mir, wie ich von hier aus am besten zum Lagerhaus
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