Schwarzes Blut
einfaches Manöver, und deswegen habe ich es mir ausgesucht. Schließlich kann ich nicht einfach geradeaus hinein, sondern muß noch seitlich um den Bau herum. Doch es gibt nur wenige Dinge, die ich nicht beherrsche, und weil ich das Blut von schon so vielen Fernfahrern getrunken habe, darf man wohl behaupten, daß mir ihr Geschick in den Adern liegt. Galant manövriere ich um die Kurve, stelle den Lastzug ab und steige aus. Beide Tanklaster stehen nun kaum mehr als einen Meter vor der Hauswand. Aus den Augenwinkeln heraus sehe ich einen Eiswagen, der unten an der Straße geparkt ist.
Alles ist ruhig, alles ist friedlich. Selbst für meine geschulten Ohren.
Auch Rays Lastzug hat nun am anderen Ende des Gebäudes gestoppt. Ich höre, wie Ray aus dem Fahrerhaus klettert und hinten zu den Tanks geht, an denen ich die Zündschnur befestigt habe. Dann höre ich, wie er mitten in der Bewegung verharrt, und ich höre nicht, wie die Zündschnur glimmt. Dafür höre ich, wie mein Herz schlägt. Ich warte, daß er seine Mission erfüllt.
Aber alles bleibt still. Die Zündschnur brennt nicht.
Jetzt fängt mein Herz heftig an zu klopfen.
Das Gewehr geschultert, gehe ich ans hintere Ende meines Lastzugs und dann auf Ray zu. Irgend etwas scheint mir hier faul zu sein. Ich kann meine Tanks nicht anzünden, ohne zu wissen, was gespielt wird. Und von weitem kann ich mein Benzin auch nicht entzünden, jedenfalls nicht leicht. Eine Kugel würde es vielleicht tun. Vielleicht aber auch nicht. Andererseits kann ich aber auch nicht nach Ray schauen, ohne vom Treibstoff wegzugehen. Wieder bin ich in einer paradoxen Situation. Mein ganzes Leben scheint paradox. Einen Moment lang denke ich nach, schraube dann aber den Tankverschluß hinten am Tankwagen ab. In Strömen fließt Benzin heraus. Das Lagerhaus liegt auf einer leichten Anhöhe. Dort, wo ich stehe, ist es höher als dort, wo Ray sich befindet. Ich gehe um die Ecke des Gebäudes herum, und der flüchtige Treibstoff folgt mir in einem plätschernden Strom und näßt meine bloßen Füße. Ich befürchte, die Dämpfe werden die Vampire drinnen alarmieren, aber ich habe keine Wahl. Das Benzin läuft jetzt vor mir her, hinab zum anderen Tankwagen. Unsere zwei Bomben werden sich vereinen.
Jetzt habe ich den zweiten Lastzug vor Augen, aber Ray sehe ich noch immer nicht. Ich verlangsame meinen Schritt, nehme das Gewehr fest in die Hand und lasse mich allein vom Gehör lenken. Im Inneren des Gebäudes bleibt alles beim alten. Einundzwanzig Vampire friedlich im Schlaf, mit vollem Bauch und triefendroten Träumen. Hinter dem Lastzug aber ist irgend etwas. Zwei Leute vielleicht.
Zwei Vampire vielleicht.
Kaum vernehmbar geht ihr Atem. Einer ist ruhig und gelassen. Der andere keucht, wehrt sich, vielleicht gegen eine Hand, die man ihm auf den Mund gedrückt hat. Sofort wird mir klar, was geschehen ist: Eddie hat uns erwartet. Er hat sich Ray geschnappt und hält ihn auf der Trittstufe der Beifahrerseite als Geisel fest. Eddie wartet, daß ich Ray helfe, dann wird er zuschlagen. Mir ist genau der Fehler unterlaufen, den ich nie wieder begehen wollte: Ich habe meinen Gegner unterschätzt.
Alles war abgekartet. Eddie hat mir eine Falle gestellt. In Panik gerate ich jedoch nicht. Dafür habe ich gar nicht die Zeit, und vielleicht nimmt die Sache ja doch noch ein gutes Ende. Im Verlauf der Jahrhunderte ist mein Gehör immer besser geworden. Ich glaube, daß Eddie nicht so ein feines Gespür hat wie ich, auch wenn er stärker ist als ich. Vielleicht nimmt er nicht wahr, daß ich ihn schon bemerkt habe. Das Überraschungsmoment könnte noch immer auf meiner Seite liegen.
Rasch lasse ich mir alle Möglichkeiten durch den Kopf gehen. Ich kann von links oder von rechts auf ihn zugehen. Oder von oben. Letzteres scheint die gefährlichste Variante zu sein, bringt aber auch das größte Überraschungsmoment mit sich. Also bin ich dafür. Aber einfach bloß auf das Dach des Schleppers springen werde ich auch nicht. Ich werde regelrecht drüberfliegen. Ich fasse das Gewehr noch fester, nehme ein paar Schritte Anlauf, springe dann kraftvoll in die Luft und bringe die Mündung dorthin zum Anschlag, wo ich Eddie vermute. Ich bin schnell, sehr schnell, doch als ich die andere Seite des Lastzugs und fast das Ende meines Luftbogens erreiche, sind sie nicht dort.
Verdammt.
Daß sie verschwunden sind, bringt mich dermaßen aus der Fassung, daß ich beinahe mein Gleichgewicht verliere, als ich auf dem Boden aufsetze. Ich
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