Schwarzes Blut
Chance für mich. Meine Scherenblätter klicken, und wenig später lege ich den Draht auf der gesprungenen Asphaltdecke ab. In weniger als fünf Minuten habe ich ein Loch geschnitten, das groß genug ist, um unsere Lastzüge hindurchzulassen. Ich ziehe mich zu Ray und den Tankwagen zurück. Er kauert sich unter der Decke zusammen und schaut mich mit fiebrigen Augen an.
»Schade, daß es nicht neblig ist«, murrt er.
Ich stimme ihm zu. »Eine Sonnenfinsternis wäre wohl noch besser.« Ich reiche ihm die Hand. »Auf, auf, hinein ins Vergnügen?«
Nur langsam kommt er auf die Beine. Die Decke hat er sich immer noch über den Kopf gewickelt und betrachtet jetzt meine handwerkliche Arbeit aus der Ferne. »Schlafen sie alle?«
»Sieht so aus.«
»Bist du sicher, daß Eddie drin ist?«
»Ich hab’ gesehen, wie er rein ist. Ich hab’ nicht gesehen, daß er wieder herausgekommen ist. Er könnte sich natürlich nach hinten hin verdrückt haben.« Ich zucke mit den Schultern. »So ‘ne gute Chance kriegen wir bestimmt nicht wieder. Wir müssen jetzt zuschlagen, und wir müssen hart zuschlagen.«
Er ist meiner Meinung. »Einverstanden. «Er humpelt zu seinem Tankwagen, und ich helfe ihm zum Fahrersitz hoch. »Weißt du, daß ich gar keinen Führerschein für so einen Sattelschlepper habe, Sita? Was wir hier tun, verstößt gegen das Gesetz.«
»Es gibt Gesetze von Menschen, und es gibt Gesetze von Gott. Vielleicht sind wir nicht gerade die liebenswürdigsten Wesen der Schöpfung, aber wir tun unser Bestes.«
Voller Ernst schaut er mich an. Sein Gesicht ist rot und schweißnaß. »Stimmt das? Können wir der Welt überhaupt irgend etwas Gutes tun?«
Ich nehme ihn in die Anne. »Wenn wir diese Wesen hier aufhalten können, dann haben wir unsere Existenz tausendfach gerechtfertigt.« Ich küsse ihn. »Tut mir leid, daß ich das Mädchen habe sterben lassen.«
Auch er schließt die Arme um mich. »War nicht deine Schuld.«
»Tut mir leid, daß ich deinen Vater getötet habe.«
»Sita.« Er hält mich eine Armlänge von sich. »Du bist fünftausend Jahre alt. Du hast zuviel Vergangenheit. Du mußt lernen, in der Gegenwart zu leben.«
Ich lächele und komme mir dabei vor wie ein albernes kleines Kind. Gar kein schlechtes Gefühl. Obwohl ich es bin, die so viel gesehen und erlebt hat, ist er der weisere von uns beiden. Sanft streiche ich ihm die Haare aus den Augen und küsse ihn unvermittelt noch einmal.
»Du erinnerst mich wirklich an Rama«, flüstere ich ihm ins Ohr. »So sehr, daß du er sein mußt. Versprich mir etwas, Ray, und ich will dir das gleiche versprechen: Wir beide bleiben zusammen – für immer.«
Er gibt nicht sofort Antwort, und ich trete ein klein wenig zurück, um zu sehen, was mit ihm ist. Er hat die Decke fallen gelassen und blickt nun hoch zur Sonne, allerdings nicht direkt hinein. Trotzdem glaube ich, daß dieser Blick seine Augen sehr schmerzt.
»Der Himmel ist so blau«, sagt er gedankenverloren. »So weit.« Er wendet sich wieder mir zu und kichert leise. »Wir sind wie diese Vampirfische, verloren im Meer.«
Ich runzele die Stirn. »Ray?«
»Ich mußte gerade an Krishna denken.« Er drückt mir die Hände. »Ich verspreche dir, daß unsere Liebe überleben wird.« Er schaut zum Lagerhaus hinüber. »Du willst, daß ich zur Südseite hinfahre?«
»Ja, nach links. Fahr mir hinterher. Bleib dicht dran. Fahr mit halb angelehnter Tür. Laß sie aber nicht zuknallen. Mach den Motor aus, sobald du durch den Zaun fährst, und roll im Leerlauf weiter. Schließe die Tür nicht zu, wenn du aussteigst. Zünd die Lunte an und hau ab, so schnell du kannst. Ich werde sie glimmen hören und dann meine auch anmachen. Wenn sie verschwinden wollen, kümmere ich mich um sie. Wir treffen uns hier wieder, wenn die Sache vorbei ist. Dann können wir angeln gehen…« Ich unterbreche mich, als wollte ich noch etwas sagen, weiß aber nicht, was. »Paß auf dich auf, Ray.«
»Du auch, Sita.« Er faßt sich ans Herz. »Ich liebe dich, Sita.« Ich fasse mir an meins. Der Schmerz kehrt zurück, ich kann kaum atmen.
Vielleicht ist das ein Zeichen Gottes.
»Ich liebe dich«, sage ich.
Wir fahren auf das Lagerhaus zu, ich voran. Das Loch im Zaun läßt tatsächlich genügend Platz für unsere Tankwagen. Der Kopf eines toten Hundes wird plattgewalzt, als der Vorderreifen des Schleppers über ihn rollt. Ich schalte den Motor aus und lasse mich vom Schwung der Bewegung bis ans hintere Ende des Gebäudes gleiten. Ein nicht so ganz
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