Schwarzes Blut
brauche einen Moment, um mich wieder zurechtzufinden. Zeit genug für Eddie, um locker und lässig um das Vorderhaus des Tankwagens herumzuschlendern. Ray hat er als Schutzschild vor sich, schlingt seine knochigen Finger um die Kehle meines Liebhabers. Eddies Tempo überrascht mich immer aufs neue. In der kurzen Zeit, in der ich in der Luft war, hat er sich aus der Gefahrenzone herauskatapultiert. Es sind aber nicht bloß seine überlegenen Reflexe, die mich schockieren, sondern auch seine Fähigkeit, mir immer einen Schritt voraus zu sein. Ich bin für ihn ein offenes Buch. Ist das eigentlich verwunderlich? Schließlich sind wir doch beide Raubtiere. Er schüttelt Ray, damit ich mitkriege, daß seine Umklammerung tödlich ist. Ray seinerseits bleibt ruhig. Er glaubt, daß ich ihn schon retten werde. Ich wünschte, ich könnte seine Hoffnung teilen.
Eddie grinst. »Hallo, Sita. So trifft man sich wieder.«
Yaskha muß noch am Leben sein. Sonst würde Eddie meinen Namen nicht kennen. Doch ich kann einfach nicht glauben, daß mich Yaksha an dieses Monster verraten hat, auch wenn wir Todfeinde waren. Mein Gewehr halte ich auf gleicher Höhe, bewege mich langsam auf ihn zu und mustere ihn dabei. Er wirkt etwas träge und ein wenig matt. Sechs Kugeln in den Leib müssen ihm einiges abverlangt haben. Sein Blick jedoch bleibt eisig. Ich muß an seine Mutter denken und frage mich, wie seine Kindheit ausgesehen haben muß, wie ein Mann dazu kommt, sich zum Vergnügen Snuff-Filme anzuschauen. Bestimmt hat er sich immer schon als Outsider gefühlt und nachts darüber sinniert, was er alles anstellen würde, wenn er unbegrenzte Macht besäße. Und dann fällt ihm alles einfach in den Schoß. Wie ein Geschenk Gottes. Er hat etwas von einem Fanatiker. Er glaubt sich auf heiliger Mission und hat sich selbst zum Hauptgott ernannt. Das ist etwas, was mich noch mehr stört. Ein Prophet ist gefährlicher als ein Krimineller. Die Bedürfnisse eines Kriminellen sind wenigstens überschaubar. Ein Prophet hingegen braucht ständige Stimulation. Zumindest die falschen Propheten. Noch hat Eddie Ray nicht umgebracht, weil er noch ein bißchen mit uns spielen möchte. Das ist für mich in Ordnung. Ich kenne eine Menge Spiele.
Die Sonne stört Eddie, aber er kommt damit klar. Er kneift die Augen zusammen.
»Hallo, Eddie«, sage ich freundlich. »Gut siehst du aus.«
»Danke. Du hast dich auch prima erholt. Glückwunsch, daß du mich so schnell gefunden hast. Ich dachte, daß du wenigstens eine Woche brauchst, um das Lagerhaus hier aufzuspüren.« Er fügt hinzu: »Wie hast du mich denn gefunden?«
In seiner Stimme liegt eine eigenartige Mischung; sie klingt listig und erwartungsvoll, ungezwungen und zugleich krank. Sein Ton hat jedoch keinerlei Tiefe, und ich frage mich, ob er überhaupt zugänglich ist für meine sanften Worte. Ihn zu erschießen, während er Ray noch in den Armen hält, steht nicht zur Debatte. Zu keinem Zeitpunkt gibt er sich mehr als ein paar Zentimeter Blöße.
Er war darauf aus gewesen, uns hier in der Gegend zu überrumpeln. Seine Bemerkung verrät jedoch, daß er nichts von meinem Besuch bei seiner Mutter weiß oder davon, daß ich mich über seine Vergangenheit erkundigt habe.
»Du hast eine ganz besondere Spur hinterlassen«, sage ich sanft. »Ich brauchte bloß den roten Tropfen zu folgen.«
Das gefällt ihm. Und verärgert ihn. Er ist voll von Widersprüchen. Er schüttelt Ray heftig durch, und mein Liebhaber schnappt nach Luft. »Antworte auf meine Frage«, befiehlt er.
»Was bekomme ich dafür?« will ich wissen. Nach wie vor bin ich etwa zehn Meter von ihm entfernt. Bis jetzt ist aus dem Lagerhaus keinerlei Bewegung zu erkennen. Einen Komplizen, der ihm hilft, hat er offenbar nicht. Das Benzin aus meinem auslaufenden Tankwagen bildet Pfützen in unserer Nähe; keiner von uns steht jedoch direkt darin. Noch einmal bemühe ich mich, ihm meine Worte ins Gehirn zu pflanzen. Aber der Boden dort ist nicht fruchtbar.
»Ich lasse deinen Freund leben«, sagt Eddie.
»Warum machen wir es nicht so: Du läßt meinen Freund gehen, und ich beantworte dir alle deine Fragen? Ich lege sogar dieses hübsche brandneue Gewehr beiseite.«
»Leg es zuerst beiseite, und ich denke über deinen Vorschlag nach«, gibt Eddie zurück.
Meine Stimme hat ihn noch immer nicht beeinflußt. Ich gebe aber nicht auf. »Natürlich vertrauen wir beide einander nicht. Wir können uns hier auf ewig Patt setzen. Das bringt aber keinem von uns was. Ich
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