Schwarzes Blut
aus der Hand.
Zu seiner großen Bestürzung schlittert sie die Straße entlang. Mit sanfter
Stimme fahre ich fort: »Was er wirklich sagte, war: ›Du bist eine Hexe.‹ Damals
haben sie nämlich noch an Hexen geglaubt.« Langsam und bedächtig knöpfe ich
mir mein bleiches, weißes Opfer vor, packe es am Kragen und hole es dicht an
mich heran. »Glaubst du auch an Hexen, Gary?«
Jetzt ist er die Angst in Person; er zuckt am ganzen Körper. »Nein«, murmelt
er.
Ich grinse und lecke ihn am Hals. »Und an Vampire?«
Nicht zu fassen: Er fängt zu weinen an. »Nein.«
»Sieh an, sieh an«, sage ich und streichele ihm über den Kopf. »An irgend
etwas Furchtbares mußt du doch glauben, sonst wärst du nicht so verschreckt.
Sag mir: Was für eine Art Monster bin ich denn für dich?«
»Bitte, laß mich gehen!«
Traurig schüttele ich den Kopf. »Ich fürchte, das geht nicht, obwohl du so
schön bitte gesagt hast. Deine Bullenkollegen sind hier an jeder Ecke. Wenn ich
dich gehen lasse, rennst du zu ihnen und erzählst ihnen, ich sei eine
Prostituierte, die eine Waffe bei sich trägt. Übrigens, das war für mich keine
besonders schmeichelhafte Einschätzung. Mich hat noch nie jemand für Sex
bezahlt, jedenfalls nicht mit Geld.« Ich würge ihn ein wenig. »Aber mit ihrem
Blut haben sie bezahlt.«
Die Tränen fließen ihm jetzt in Strömen herab. »O mein Gott!« Ich nicke. »Nur zu! Bete zu Gott. Wird dich überraschen: Ich bin ihm sogar
schon mal begegnet. Wahrscheinlich hielte er nichts von der kleinen Folter, die
ich mit dir hier abziehen werde, aber schließlich hat er mich nun mal am Leben gelassen und wird schon gewußt haben, daß ich dir begegnen und dich töten werde. Außerdem hat er gerade meinen Liebhaber umgebracht, und mir ist es so ziemlich egal, was er hiervon hält.« Ich kratze Gary mit dem Daumennagel, und er beginnt zu bluten. Die rote Flüssigkeit läuft ihm in seinen sauber gestärkten Hemdkragen. Ich beuge mich vor an seinen Hals und öffne den Mund. »Das
wird mir gefallen«, murmele ich.
Er preßt die Augen zu und jammert: »Ich habe eine Freundin!« Für einen Moment lasse ich von meiner Mahlzeit ab. »Gary«, sage ich
geduldig. »Der Spruch geht anders. ›Ich habe Frau und zwei Kinder.‹ Tja,
manchmal höre ich auf so was. Manchmal auch nicht. Der französische
Adelsmann hatte zehn Kinder, aber weil er drei Frauen gleichzeitig hatte, sah
ich mich nicht zur Nachsicht veranlaßt.« Sein Blut riecht lecker, vor allem nach
einem solch harten Tag und einer so harten Nacht. Aber irgend etwas hält mich
zurück. »Wie lange kennst du das Mädchen schon?« will ich von ihm wissen. »Sechs Monate.«
»Liebst du sie?«
»Ja.«
»Und wie heißt sie?«
Er macht die Augen wieder auf und schaut mich an. »Lori.«
Ich lächele. »Glaubt sie denn an Vampire?«
»Lori glaubt an alles.«
Ich muß lachen. »Na, dann paßt ihr ja gut zusammen! Hör zu, Gary. Heute ist
dein Glückstag. Ich trinke jetzt ein bißchen von deinem Blut, aber nur, bis du
ohnmächtig wirst. Ich verspreche dir, daß du es überlebst. Wie hört sich das an
für dich?«
Wirklich entspannt kommt er mir nun nicht gerade vor. Wahrscheinlich hat er
schon bessere Angebote erhalten. »Bist du wirklich ein Vampir?« fragt er. »Bin ich. Das mußt du aber deinen Bullenkollegen nicht auf die Nase binden.
Dann fliegst du doch nur raus – und deine Freundin dürfte auch abhauen. Erzähl
ihnen einfach, irgendein Irrer hat euch den Wagen geklaut, als ihr gerade mal
einen Moment nicht aufgepaßt habt. Das ist nämlich das, was ich tun werde,
sobald du ohnmächtig wirst. Vertraue mir, ich muß so handeln.« Ich drücke ihn
ein wenig, gerade fest genug, damit er merkt, daß ich noch immer das kräftige
kleine Miststück bin. »Ist das nicht fair?«
Er merkt, daß er gar keine Wahl hat. »Wird es weh tun?«
»Ja, aber es wird angenehm weh tun, Gary.«
Mit diesen Worten schlitze ich seine Ader weit auf und umschließe die
Wunde mit meinen hungrigen Lippen. Schließlich habe ich es doch eilig. Erst
während ich sein Blut trinke, wird mir bewußt, daß ich ihn nicht deshalb leben
lasse, weil er eine Freundin hat. Zum erstenmal in meinem Leben befriedigt
mich Blut nicht. Schon allein der Geschmack in meinem Mund stößt mich jetzt
ab, schon der Geruch in meiner Nase. Ich töte ihn deshalb nicht, weil ich es satt
habe, zu töten. Endlich. Als ich mit den Bullen plauderte, tat ich das, um mich
abzulenken. Die bittere Erkenntnis, daß ich die einzige bin, die
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