Schwarzes Blut
Jesus je begegnet?« will ich wissen.
»Nein. Du denn?«
»Nein. Aber ich habe von ihm gehört, als er noch lebte.«
Yaksha holt tief Luft. »Ich weiß noch nicht mal, ob Jesus mich jetzt heilen könnte.«
»Du würdest ihn gar nicht darum bitten, selbst wenn er es könnte.«
»Das stimmt. Aber laß mich weitererzählen. In Gestalt einer wunderschönen Göttin war Gott für Mahisha jedenfalls nicht abstrakt. Ihr Tanz brachte auch ihn zum Tanzen. Er ahmte jede ihrer Bewegungen nach. Das tat er völlig spontan, aus freiem Willen heraus, auch nicht einen Moment lang ahnend, daß er sich in Gefahr befand. Er machte sich keine Sorgen, weil er ja wußte, daß er nicht getötet werden konnte. Aber im Widerspruch der ihm gewährten Gunst lag gleichzeitig auch die Lösung. Er hatte um zwei Gaben gebeten, nicht um eine. Welche aber war nun stärker? Die erste, weil er um sie zuerst gebeten hatte? Oder die zweite, weil er zuletzt um sie gebeten hatte? Oder war keine stärker als die andere? Vielleicht konnten sich die beiden ja gegenseitig eliminieren…
Die Göttin tanzte weiter vor den Augen Mahishas und führte dabei langsam und unmerklich die Hand zum Kopf. Das tat sie mehrere Male, dabei jedesmal die Bewegung weiter verlangsamend. Schließlich faßte sie sich dabei auf den Kopf, und weil Mahisha derart in sie versunken war, tat er es ihr nach.«
»Und starb im selben Moment«, ergänze ich. Die Geschichte hatte mir gefallen. Was sie bezwecken sollte, hatte ich allerdings nicht verstanden.
»Ja«, sagt Yaksha. »Der unbesiegbare Dämon war vernichtet, und sowohl Himmel als auch Erde waren gerettet.«
»Ich begreife die Moral der Geschichte, aber was sie praktisch aussagen will, begreife ich nicht. Ich glaube nicht, daß Krishna dir diese Geschichte erzählt hat, damit du sie mir weitererzählst. Sie hilft mir auch nicht weiter. Der einzige Weg, Eddie zu verhexen, wäre der, ihm einen Snuff-Film zu zeigen. Der Kerl interessiert sich doch gar nicht für meinen Körper, jedenfalls so lange nicht, bis er nicht zur Leiche geworden ist.«
»Das stimmt nicht. Er ist sehr an dem interessiert, was in deinem Körper steckt.«
Ich pflichte ihm bei. »Er will mein Blut.«
»Natürlich. Nach meinem ist dein Blut die mächtigste Substanz auf der ganzen Welt. Er dürfte schon herausgefunden haben, daß wir beide uns im Lauf der Jahrhunderte auf unterschiedliche Art und Weise entwickelt haben. Er will deine einzigartigen Fähigkeiten und kann sie nur in sich aufnehmen, wenn er dein Blut aufnimmt. Aus diesem Grund wird er dich auch nicht einfach töten, wenn er dich das nächstemal sieht.«
»Als wir uns das erstemal begegnet sind, hätte er mich töten können, hat es aber nicht getan.«
»Siehst du? Es stimmt also, was ich sage.«
Meine Worte sind gefühlsgeladen, denn was auch immer er sagen mag, lindert nicht die Qual, die ich empfinde. Ray ist tot, mein alter Mentor liegt im Sterben, und Gott braucht fünftausend Jahre, um ein Gebet zu erhören. Mir ist, als triebe ich auf einer Eislagune, als hörte ich Gemurmel, das aus einem schwarzen Himmel zu mir herabgeflüstert wurde. Ich weiß, daß Eddie mich bei unserer nächsten Begegnung töten wird. Er wird mir langsam das Fleisch abziehen, und ich weiß auch, daß Krishna meine Gebete nicht erhören wird. Wie oft muß Yaksha wohl nach Krishna geschrien haben, als Eddie ihm die Metallstifte in seinen geschundenen Leib hineingetrieben hat? Ich frage Yaksha danach, er starrt aber bloß wieder hinaus aufs Meer.
»Glaube ist eine merkwürdige Eigenschaft«, sagt er schließlich. »Oberflächlich betrachtet scheint es töricht zu sein, uneingeschränkt einer Sache zu vertrauen, von der man gar nicht wissen kann, ob sie auch existiert. Ich denke aber, Vertrauen verliert sich in dem Moment, in dem der Tod vor der Tür steht. Denn der Tod ist stärker als alles, woran der Mensch glaubt. Er wischt alles beiseite. Wenn du dir einen toten Juden, einen toten Christen, einen toten Hindu oder einen toten Buddhisten anschaust: Sie sehen doch alle gleich aus. Nach einer Zeit riechen sie sogar alle gleich. Deswegen meine ich: Wahrer Glaube ist ein Geschenk. Man kann ihn sich nicht einfach zulegen. Gott gibt ihn dir oder gibt ihn dir eben nicht. Als ich die letzten Wochen über im Eiswagen gefangen war, habe ich Krishna nicht gebeten, mich zu befreien. Ich habe ihn bloß gebeten, mir den Glauben an ihn zu geben. Dann stellte ich fest, daß alles schon erreicht war. Ich merkte, daß ich diesen Glauben
Weitere Kostenlose Bücher