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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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holte eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche. Es waren HB. Der Hausmeister am Märkischen Ufer hatte Lorenz am Morgen die gleiche Marke gezeigt, um deutlich zu machen, worauf es in Berlin wirklich ankam. Der Polizist nahm sich eine Zigarette und bot Lorenz eine an.
    «Haben Sie zufällig Feuer?»
    Lorenz suchte in seiner Tasche, brannte unter der gekrümmten Handfläche ein Streichholz an. Der Beamte beugte sich nach unten, zog kräftig und hielt zu Lorenz’ Entsetzen seine Hand fest.
    «Das ist aber ein lustiges Etikett.»
    Erst jetzt sah Lorenz, dass er eine russische Schachtel hielt. Das Bildchen stammte aus einer Serie von Plakaten gegen den Alkoholismus. Ein Mann, dem eine Wodkaflasche aus der Hosentasche lugte, suhlte sich mit einem Schwein in einer Dreckpfütze. Darüber die Parole: «Ein Schwein unter Schweinen!»
    Der Polizist schaute die Schachtel begeistert an:
    «Toll. Russisch, nicht war? Brauchen Sie die noch?»
    «N … Nein», antwortete Lorenz, ohne genau zu verstehen, wohin sich das Gespräch entwickelte. «Ein Fundstück, lag auf der Toilette. Sie können die Schachtel ruhig haben!»
    «Das ist aber nett.»
    Der Polizist ermunterte Lorenz, sich noch eine Zigarette zu nehmen.
    «Sie müssen verstehen, ich sammle Streichholzschachteln, die Etiketten. Wie andere Briefmarken. Ist spannend. Danke.»
    Lorenz schaut den Mann an, als wäre der nicht ganz bei Sinnen. Er verabschiedete sich und machte sich mit dem Paket schleunigst davon. Jetzt wurde die Zeit doch noch knapp. Er rannte auf den Vorplatz und sah, wie ein in Frage kommender Mann Richtung Zoo schritt. Mit wenigen Sätzen holte er ihn ein.
    «Entschuldigen Sie, wo geht es hier zum Ku’damm?»
    Der Mann musterte ihn ausgiebig. Fast hatte Lorenz das Gefühl, doch den Falschen aufgehalten zu haben, da kam die Antwort:
    «Da sind Sie aber zu früh aus der S-Bahn gestiegen.»
    «Na, ein Glück.»
    Lorenz drückte dem Fremden das Paket in die Hand, drehte sich um und ging. Auf der Treppe zum Bahnsteig übersprang er vor Freude immer wieder mehrere Stufen. Oben angekommen, sah er schon die S-Bahn zur Friedrichstraße. Erschöpft ließ er sich auf einem Fensterplatz nieder. Es war geschafft. Der Zug ruckte, nahm Fahrt auf und zog in einem weiten Bogen Richtung Osten. Lorenz lehnte sich zurück und wischte mit dem Ärmel das beschlagene Fenster frei. Am Ende des Platzes, der langsam im Herbstdunst versank, sah er eine kleine Gestalt mit einem Paket unter dem Arm davoneilen. Ihr entgegen kamen zwei Polizisten.

VI
    Die Mutter fauchte:
    «Nicht das, das weiße Hemd.»
    Ich fand das blöd. Mitten in der Woche. Gerade hatte ich zum lauten Protest angesetzt, da traf mich der Blick des Vaters, ich zog es vor zu schweigen. Sie hatten sich wieder gestritten. Das passierte jetzt öfter. Murrend zog ich mich um. Dann machten wir uns auf den Weg. Die Mutter kam nicht mit.
    Über Berlin spannte sich ein sonniger Herbsttag, mit dem in diesem November nach all dem Nebel und der frühen Dunkelheit niemand mehr gerechnet hatte. Wir fuhren ein Stück mit dem Bus, der zu meiner Begeisterung einen zweiten Stock hatte, auch wenn es dort oben fürchterlich zog, und anschließend mit der S-Bahn. Aus dem Fenster sah man die städtischen Mietshäuser immer kleiner werden, bis sie ganz dem bunten Laub der Bäume in den Schrebergärten Platz machten. Ab und zu glitzerte durch das Dickicht etwas Blau in der Sonne, ein Kanal, ein Fluss, ich wusste es nicht, es waren schmale Bänder. Die kargen Hänge der Tundra gab es nicht. Überhaupt schien alles sehr eng, manchmal irgendwie beklemmend abgewohnt und bis in den kleinsten Winkel gebraucht zu sein.
    An einem menschenleeren Bahnsteig stiegen wir aus der S-Bahn und gelangten wenig später auf einen sandigen Weg, der sich wie in einem Labyrinth zwischen den Zäunen kleiner, von Kiefern und Obstbäumen umrahmter Häuschen wand. Während Pascha mit seinem Klappmesser einen Stock abschnitt und damit herumfuchtelte, hielt mich der Vater fest an der Hand. Vielleicht hatte er ja Bedenken, ich könnte ihm verloren gehen.
    Endlich blieben wir vor einem gelb getünchten Haus stehen. Der Vater schaute uns beide noch mal an, zupfte an Paschas Kragen und drückte auf die Klingel. Dann, zur Sicherheit, ein zweites Mal. Eine Frau öffnete die Tür. Sie war nicht groß, hatte blondes, nach hinten zu einem Knoten zusammengefasstes Haar und einen, wie ich fand, traurigen Blick. Sie war älter als meine Mutter. Es war Lotte, die erste Frau des

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