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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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gesagt.»
    Die Reaktion bestätigte Lorenz’ Befürchtungen: Mit der von ihm erhofften Selbständigkeit der deutschen Genossen konnte es nicht weit her sein.
    «Die Freunde, die Freunde», entfuhr es Kaden.
    Mehr traute er sich nicht zu sagen. Er machte sich auch keine Notiz. Doch Lorenz konnte sicher sein, das Gesagte würde schnell an die richtigen Stellen gelangen. Er knüpfte die Erwartung daran, dass man seine Offenheit zu schätzen wüsste und ihn in Ruhe ließ.
    «Freunde», das sollte er schnell lernen, war das gängige Synonym für Russen – die Sowjetunion im Allgemeinen und die im Land stationierten Soldaten im Besonderen. Das Wort bot ein breites Spektrum an Betonungsmöglichkeiten, die von ehrlicher Zuneigung bis zu direkter Verachtung so ziemlich alles ausdrücken konnten, ohne dass man dem Sprechenden Feindseligkeit oder auch nur politische Unkorrektheit nachweisen konnte. Es klang selbst dann noch irgendwie harmlos, wenn man es offen gehässig meinte. Und das passierte oft. In offiziellen Papieren, wozu die vielen Reden auf Tagungen und Parteitagen zählten, gab es «die Freunde» selbstverständlich so nicht, allenfalls die «unverbrüchliche Freundschaft zum sowjetischen Brudervolk». Gern benutzt wurde neben «Freunde» auch der «große Bruder». Der hatte seine Anhänger vor allem in der politischen Oberschicht. Der «große Bruder» ließ sich sehr variabel nutzen, ohne dass dabei die wahren Verhältnisse verwischt wurden. Denn dass die Mächtigen in Moskau die «Großen» waren, wer wollte das in Ostberlin ernsthaft bezweifeln. Wer allerdings politisch nicht ganz so auf Linie lag, für den waren «die Russen» immer noch «die Russen». Auch wenn man es so klar nicht überall und schon gar nicht zu jedem sagen konnte. Hingegen blieb «Sowjets», der im Westen benutzte Kampfbegriff, die Ausnahme.
    So deckten die drei Begriffe «Freunde», «großer Bruder» und «Russen» den sprachlichen Bedarf an Einordnung und Distanz einer unter russischer Vormundschaft stehenden Bevölkerung. Die Freunde waren somit nicht nur Freunde. Auch für einen Mitarbeiter des ZK nicht. Und wenn es oben so war, wie war es dann erst unten?
    Lorenz war schon im Aufstehen, da kramte Kaden etwas aus seinem Schreibtischfach heraus:
    «Ach ja, da ist noch was. Beinah hätte ich es vergessen. Hier ist ein Päckchen, darauf wartet ein Genosse. Drüben. Du weißt schon, in Westberlin.»
    Kaden genoss die Wirkung seiner Worte.
    «Ich soll rüber in den Westen?», fragte Lorenz ungläubig.
    «Ja, aber nicht einfach so. Sondern im Auftrag der Partei, versteht sich. Es wäre gut, wenn du dich gleich auf den Weg machst. Mit der S-Bahn zum Bahnhof Zoo. Der Genosse erwartet dich» – er sah auf die Uhr – «na, sagen wir, in zwei Stunden. Gleich links neben dem Haupteingang steht er, hat eine Zeitung in der Hand. Sei so freundlich, bring ihm das Päckchen.»
    Der ZK-Mann schob ein Paket über den Tisch.
    «Das ist ein Parteiauftrag. Pass auf, dass es klappt.»
    Das Paket war groß wie ein Schuhkarton und leicht. Fast schien es, Lorenz sollte nur Luft aus einem Sektor in den anderen bringen. So merkwürdig das Ganze anmutete, er stellte besser keine Fragen. Denn eines war klar: Mit der Partei hatte das nichts zu tun, umso mehr mit der Staatssicherheit. Sie wollten ihn testen. Und das hieß: Sie trauten ihm nicht. Er wusste es. Das Herz wünschte sich, endlich angenommen zu sein. Aber sein Verstand sagte: Sei auf der Hut. Es war genau so, wie er befürchtet hatte, das Mal eines «Ehemaligen» prangte weiterhin auf seiner Stirn. Was hätte er auch anderes erwarten können? Die Illusion, in diesem neuen Deutschland könnte es anders zugehen als in der zurückgelassenen alten Sowjetunion, war nur Wunschtraum, der verzweifelte Versuch, nach all dem Schrecklichen in der Normalität anzukommen. Einer Normalität, die es so nicht gab. Was konnte aus diesem Deutschland auch anderes werden, wenn sein Geburtshelfer Josef Stalin hieß?
    «Bahnhof Zoo in zwei Stunden?», fragte Lorenz betont sachlich, als fürchte er, Kaden könnte seine Gedanken lesen. «Da ist ja noch Zeit. Wie lautet deine Telefonnummer, damit ich anrufen kann, wenn der Auftrag erledigt ist?»
    «Keine Sorge, ob alles geklappt hat, erfahre ich auch so. Das kannst du mir glauben. Pass nur auf, dass dich die CIA nicht wegschnappt. Bei denen dort wimmelt es von Agenten. Es wäre gut, wenn du die Sache ohne Zwischenfälle erledigst. Und das mit deiner Zukunft, da bin ich

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