Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters
setzen. Hemd und Hose zuknöpfend, hastete er hinunter. Er fuchtelte wild mit den Armen, um das weitere Eindringen des Tankwagens in den Hof zu verhindern. Der Fahrer unterbrach seinen neuerlichen Versuch, den Torpfosten zu umfahren.
«Halt! Halt!» Fritz hämmerte auf die Blechverkleidung.
Der Motor heulte und ging aus. Dann öffnete sich die Beifahrertür, ein junger Leutnant sprang auf die Straße. Ohne sich im Geringsten um den Stau zu scheren, ging er hinter das Auto und betrachtete verärgert den Pfosten. Er rief dem Fahrer etwas zu. Dessen mandeläugiges Gesicht zog sich erschrocken zurück. Der Bursche hatte das Fahren offenbar in der kasachischen Steppe gelernt.
«Nu, Towarisch!», suchte Fritz mit seinen wenigen Brocken Russisch dem Offizier eine Erklärung zu entlocken. «Was ist? Was willst du mit dem Benzin auf unserem Hof?»
Beim Wort «Benzin», das Fritz betont russisch aussprach oder es zumindest versuchte, nickte der Offizier, er holte einen zerknitterten Zettel aus der Brusttasche:
«Du Fritz?»
Fritz nickte. Obwohl er wusste, dass er damit nicht unbedingt gemeint sein musste. Denn jeder Deutsche war für die Russen erst einmal ein «Fritz». Da konnte er heißen, wie er wollte. So wie für die Deutschen ein Russe eben auch immer der «Iwan» war.
Der Leutnant schaute auf seinen Zettel:
«Du Fritz Kargu?»
«Ja.» Auch wenn sein Nachname nur so ähnlich klang, es gab keinen Zweifel, die suchten ihn und keinen anderen.
«Ja, ich bin es. Und was wollt ihr mit dem Benzin?»
Der Offizier schrie dem Fahrer wieder etwas zu. Der sprang augenblicklich aus der Kabine, kroch unters Auto und holte einen Schlauch heraus. Alles sah danach aus, als wartete der Soldat nur auf den Befehl, den Hof unter Sprit zu setzen.
Fritz wurde es heiß. Was wollten die von ihm? Selbst wenn das Ganze nur ein Scherz war, dann war es ein verdammt schlechter. Die Menschen von der gesperrten Straße drängten herein.
«Benzin! Benzin, Fritz! Benzin!», rief der Leutnant mehrfach. Endlich verstand Fritz. Er fasste den Offizier am Ärmel und zog ihn in den Schuppen. Im Halbschatten des Verschlags zeigte er ihm seinen ganzen Stolz: eine RT mit Beiwagen.
Der Leutnant stutzte.
«Auto?»
«Nix Auto», antwortete Fritz, «nur Motorrad!»
«Nix Auto?» Der Offizier rieb sich unentschlossen das Kinn.
«Dawaj, dawa Kanistra!»
Der Kasache packte seinen Schlauch ein und zerrte hinter dem Fahrerhaus zwei Zwanzig-Liter-Kanister heraus, stellte sie neben das Motorrad, während der Offizier Fritz zum Abschied enthusiastisch die Hand schüttelte. Dann stiegen beide ein, der Laster rülpste eine dicke Qualmwolke Russenbenzin in den Hof, schrammte den Baum und rollte auf die Straße. Fritz schaute verwirrt hinterher. Als er an seiner Wohnungstür klingelte, empfing ihn Röschen mit einem lakonischen:
«Was war das denn?»
«Das hätte ich auch gern gewusst.»
Die Russen waren schon manchmal komisch. Komisch war vielleicht nicht das richtige Wort, sie waren anders. Bisweilen merkwürdig anders, und nicht alles, was sie taten, ließ sich erklären.
Beim Frühstück in der Betriebskantine am Montag bestimmte das Russenauto das Gespräch. Fritz schmückte den merkwürdigen Zwischenfall in allen Farben aus, während die anderen rätselten, was das wohl zu bedeuten hatte. Nur einer blieb still. Verdächtig still. So kam Fritz nicht umhin, Lorenz zu fragen, ob er die Geschichte nicht auch merkwürdig fände. Als der zurückfragte, ob ihm die Kanister nicht gefielen, war sich Fritz sicher, hier wusste einer mehr.
«Hast du mit der Sache zu tun?»
«Sieht danach aus. Auch wenn ich nicht ahnen konnte, dass sie dich deshalb aus dem Bett holen und die halbe Stadt zum Erliegen bringen. Aber manchmal übertreiben sie ein wenig.»
«Und wieso kamen die gerade auf mich?»
«Du bist der Einzige, den ich kenne, dem man mit etwas Benzin eine Freude machen kann, auch wenn dein Motorrad nun nicht gerade viel fährt. Aber ich werde Oberst Popow anrufen, dass sie uns den Tankwagen ins Werk schicken. Eine leere Zisterne wird sich ja finden. Da haben wir eine kleine Reserve für alle Fälle. Und irgendwelche Fälle gibt es bei uns, wie du weißt, fast immer.»
«Und wie kommt der Oberst dazu, mir Benzin zu schenken?»
«Ganz einfach. Ist schon eine Weile her, im Winter. Mir war fröstelig, also kehrte ich in der ‹Schiene› ein, nur zum Aufwärmen. War nicht viel los. Der russische Oberst saß allein in der Ecke. Sah ziemlich mitgenommen aus.
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