Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters
andere, für Lena hingegen begann der Rückzug in die Isolation.
Während Lorenz noch nach einer Begründung suchte, warum er auf keinen Fall diese Dienstreise antreten konnte, eilte Fritz in seinen Gedanken voraus. Dem Werkleiter die Sache zu verklickern, schien nicht das Problem. Der musste zwar das Geld rausrücken, die Parteileitung hatte ja im Grunde kaum Mittel, aber eine echte Wahl hatte der Werkleiter auch nicht. Dem Parteisekretär eine solche Bitte auszuschlagen, wäre unklug.
Aber wäre es überhaupt klug, Lorenz allein fahren zu lassen? Sicher nicht. Sie hatten sich inzwischen angefreundet, und Fritz vertraute Lorenz. Das war nicht selbstverständlich. Das Misstrauen zwischen den Menschen saß tief, ein unbedachtes Wort, und schon stand es in einem Bericht. Bei Lorenz war sich Fritz sicher, der sagte, was er meinte, und außer Produktionsberichten schrieb der keine anderen. An niemand. Aber sein Temperament. Schnell ließ sich Lorenz von etwas begeistern, vorbehaltlos stürzte er sich in neue Aufgaben, riss andere mit. War aber auch gnadenlos zu jenen, die das Tempo nicht halten konnten. Langes Abstimmen, mehrseitige Anträge stellen, im Zweifel lieber zurückweichen, all das war mit ihm nicht zu machen. So schien es angeraten, den technischen Direktor nicht allein auf Reisen zu schicken. Und siehe da, Lorenz war über einen Begleiter sogar froh. Das kam zwar den Betrieb teurer, aber zu zweit konnte man ganz anders auftreten. Damit waren sie eine «Delegazia». Und eine «Delegazia» hatte in Russland einen weit höheren Stellenwert als jeder einzelne Abgesandte.
Zwei Tage später saßen Lorenz und einer aus der Kaufmännischen in einem Abteil der sowjetischen Staatsbahn und schaukelten in den Abend, Richtung Moskau. Im Gepäck, neben Schreibmappen mit Goldprägung auf dem Leder, Kugelschreiber, Armbanduhren und eine Batterie Kornflaschen.
Bereits der erste Chef eines Straßenbahndepots war beim Anblick der Freundschaftsgeschenke bereit, zu unterschreiben, was die «germanischen Freunde» nur wollten. Die Stadt hieß Stalino, es war Lenas Heimatstadt. Lorenz dachte an die Zufälle des Lebens und sah zu, wie in der Aktentasche des Chefs Stifte und Mappen verschwanden. Als der Gastgeber den Blick der Deutschen spürte, meinte er fröhlich:
«Machen Sie sich keine Sorgen, ich verteile das schon. Glauben Sie mir, die Sächelchen werden der sowjetisch-germanischen Freundschaft einen wichtigen Impuls verleihen! Und damit auch Sie zufrieden sind, bitte ich Sie, Lorenz Lorenzowitsch, diktieren Sie meiner Sekretärin das Dankschreiben. Sie scheinen mir weit geeigneter dafür als jeder andere. Und ich unterschreibe die Urkunde. Das Stempelchen liegt schon bereit. Und wenn wir mit der Arbeit fertig sind, widmen wir uns der Vertiefung unserer freundschaftlichen Bande. Wir haben da etwas Kleines vorbereitet.»
Der Mann schnalzte mit der Zunge, Lorenz wusste, das «Kleine» konnte nur ein großes Gelage sein.
Währenddessen verfinsterten sich in Gotha die Gesichter. Man hatte vergessen festzulegen, wann die Delegation zurück sein sollte. Wo denn der Genosse Lorenz abgeblieben sei, klopfte der Werkleiter nach zwei Wochen betont höflich bei Fritz an. Ärgerlich. Doch siehe da, am Tag darauf stand Lorenz in der Tür, stellte Fritz eine Flasche Kognak auf den Tisch, dazu eine Tüte Konfekt.
«Die Süßigkeiten sind nicht für dich, sondern für dein Röslein! Und für die Frauen im Vorzimmer.»
Er lachte und holte aus der Aktentasche einen Packen Papiere. Die meisten Urkunden zierten rote Fahnen und goldene Staatswappen. Lorenz griff nach einem prächtigen Exemplar, mit salbungsvoller Stimme übersetzte er:
«Die Straßenbahner der Heldenstadt Leningrad grüßen die teuren Genossen in Gotha, deren hervorragende Arbeit dazu beiträgt, dass wir unsere Aufgaben bei der Gestaltung des kommunistischen Aufbaus täglich vorbildlich erfüllen können. – Na, ist das nichts? Oder hier: Die vorbildhafte Qualität der Tramwaj aus Gotha hilft uns täglich, den Plan zur Beförderung der Werktätigen von Stalino nicht nur zu erfüllen, sondern auch zu überbieten. Die Kohlekumpel des Donbass senden den Waggonbauern aus Gotha einen kommunistischen Gruß, sie stehen gemeinsam in der vordersten Front der Kämpfer gegen westdeutsche Revanchisten und Kriegstreiber.»
Fritz war die Erleichterung anzusehen:
«Wenn die Urkunden alle so sind, dann haben wir den Iwan Iwanowitsch im Sack!»
«Klar sind die alle so! Alle selbst
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