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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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sagte Lorenz: «Sstopp.» Der Bauer stellte schweigend die Flasche ab.
    «Was denn, du nicht?»
    Jetzt war es an Lorenz, sich belustigt im Kreis der Versammelten umzusehen. Er griff die Flasche, die direkt vor ihm stand, und goss ein weiteres Bierglas voll, schob es dem Bauern zu und setzte seins zum Trinken an, um dann einen Moment innezuhalten:
    «Wenn ich ausgetrunken habe», er schaute den Bauern aufmerksam an, «dann hörst du mir zu. Danach trinken wir noch eins, und du sagst mir, ob du in die LPG gehst oder nicht. Anschließend können wir entspannt den Rest der Flasche erledigen. Einverstanden?»
    Am Tisch wurde es still. Nicht nur der Bauer schwieg. Auch den anderen sah man an, was sie dachten: Drei Biergläser Schnaps? Der fällt tot um, und wir haben den Ärger.
    Lorenz setzte an und ließ den Inhalt des Glases, ohne zu schlucken, direkt durchlaufen. Männer wie Frauen schauten fasziniert. Dass jemand Schnaps wie Wasser trank, davon hatten sie allenfalls gehört, gesehen hatten sie es noch nicht. Nachdem er das leere Glas behutsam abgestellt hatte, fischte Lorenz mit der Gabel eine Scheibe Sülze von der Wurstplatte, zerlegte sie säuberlich und aß genussvoll. Die Gesellschaft starrte immer noch, in Erwartung, ein äußeres Zeichen der Schwäche zu erkennen. Doch Lorenz spießte seelenruhig eine zweite Scheibe auf die Gabel, brach dazu ein Stück Brot ab und goss sich ein zweites Glas voll. Als er es gerade ansetzen wollte, blickte er zum verdutzten Bauern:
    «He? Schmeckt dir dein eigener Schnaps nicht? Oder ist es bei euch Sitte, dass der Gast alleine trinkt?»
    Der Bauer nahm sein Glas in die Hand, setzte an und setzte es wieder ab. Schweigend schaute er dabei Lorenz an. Der wusste, dass er jetzt die Entscheidung suchen musste. Er kippte das zweite Glas runter, wischte sich die Lippen mit der Hand ab und widmete sich wieder der Sülze.
    «Haste das gesehen?», flüsterte ein Junge in die Stille hinein.
    Lorenz tat so, als überhörte er die Bewunderung, bedankte sich kopfnickend bei der Bäuerin, die zur Rechten des Bauern saß, und begann von neuem:
    «Also, was ist?», sagte er mit klarer Stimme, als hätte er tatsächlich nur Wasser getrunken. «Wenn du mich fragst, dann gebe ich dir einen guten Rat: Geh in die LPG. Da führt sowieso kein Weg dran vorbei.»
    Der Bauer schaute ihn immer noch ungläubig an, bei dem Wort LPG erwachte er aus seiner Starre:
    «Vergiss es! Die machen nicht mehr lange. Dann kommen die Amis auf ihren Sherman-Panzern, und aus ist’s mit deiner Kolchose.»
    Auch der Rest der Gesellschaft fand langsam die Sprache wieder. Vernehmbares Raunen stärkte dem Bauern den Rücken. Lorenz blieb unbeeindruckt:
    «Danke, dass du so offen sprichst. Dann will ich es dir auch ganz offen sagen: Die Amerikaner kommen nicht. Das weißt du so gut wie ich. Du traust dich nur nicht, es dir offen einzugestehen. Wegen dir fangen die keinen Krieg an! Denn dann kracht’s zum ersten Mal auch bei denen zu Hause. Und das wollen die mit Sicherheit nicht.»
    Lorenz schaute in jedes einzelne Gesicht. Die meisten wichen dem Blick aus. Aber das kannte er schon, aus der Masse heraus zu maulen war das eine, der direkten Konfrontation zu trotzen etwas anderes. Er nahm die Flasche und goss sich ein drittes Mal ein. Der Bauer starrte fassungslos auf ihn, auf die Flasche, auf das Glas.
    «Glaube mir», setzte Lorenz, das Glas im Blick, seine Rede fort, «das mit der LPG ist einfach, die kommt. Ich war damals in Russland und weiß, wie das ist. Die ziehen das durch, egal, ob es am Ende mehr Getreide gibt oder nicht. Die machen das. Und du entscheidest jetzt und heute, ob du als einer der großen Bauern aus dem Dorf künftig der Chef in dem Verein bist oder ein anderer, ein dahergelaufener Dummkopf. Der nur schlau genug war, sich rechtzeitig anzudienen. Du entscheidest für dich und für deine Familie, ob du bestimmst, was gemacht wird, oder ob der Neue dir auf deinem eigenen Hof Befehle gibt.»
    Lorenz machte eine lange Pause. Er wusste, so gut sich dieser Bauer auf dem Feld auskannte, so schwer fiel es ihm, unter Druck einen klaren Gedanken zu fassen. Da konnte es schon passieren, dass man die Schraube zu stark anzog, und schon war das Gewinde futsch.
    «Überleg’s dir. Wenn du mich fragst, Chef ist besser als …»
    Der Bauer schaute erst ihn, dann die beiden leeren Biergläser, dann die ganze Runde an, einen nach dem anderen. Wohl in der Hoffnung, von irgendwoher ein Zeichen zu bekommen. Doch die anderen

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