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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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Beweise. Wie das Geständnis erlangt wurde, spielte keine Rolle. Nur so war man überhaupt in der Lage, die Masse der Verfahren in kurzer Zeit zu bewältigen. Was nicht bedeutete, dass dort, wo es keine Beweise gab und auch kein Geständnis, der Beschuldigte damit rechnen durfte, verschont zu werden. Im Gegenteil: Er war dem Genickschuss näher als der Freiheit.
    Schrottkin schwieg und genoss die Angst des Mannes. Dann beugte er sich nach unten und drückte Lorenz die Mauser mit ihrem kalten Lauf an die Schläfe:
    «Wie waren doch die Namen? Komm schon, spuck sie endlich aus. Ich will die Namen der Verschwörer. Alle! »
    Er machte eine lange Pause.
    «Und wir werden deiner Frau nichts tun …»
    Der Satz riss Lorenz aus seiner Starre: Hatten sie Lotte auch verhaftet? Wo war Larissa? Sein kleines Mädchen … Oder war das nur eine Falle, um ihn gefügig zu machen? Ein unsagbarer Schmerz erfasste ihn, schlimmer als alles, was mit ihm zu tun hatte. Sollten sie ihn schlagen, sollten sie ihn umbringen, nur bitte, bitte, sie sollten die Frau und das Kind verschonen.
    Allmählich gewann er seine Fassung wieder, sein Kopf schaltete sich ein und drängte die Gefühle zurück. Eines stand fest: Im Augenblick konnte er nichts für Lotte und Larissa tun. Allenfalls, es gelänge ihm, den Genossen von der Komintern oder Friedrich Wolf eine Nachricht zu übermitteln, dann könnte sich für sie noch einmal das Blatt wenden. Obwohl … Wolf wusste, dass sie ihn geholt hatten. Er würde ja nicht mit Lotte seelenruhig am Morgen nach seiner Verhaftung gefrühstückt haben, ohne sich zu wundern, wo er bliebe. Und wenn es Wolf wusste, wusste es auch die Komintern … Dennoch hatte sich in all den Tagen nichts getan. Unbegreiflich, dass Menschen, die dafür bekannt waren, Unrecht Unrecht zu nennen, jetzt schwiegen. Oder konnte wirklich jemand glauben, er, Lorenz, sei ein Verräter? Ein Spion? Ein Agent? Hatten sie ihn alle fallenlassen? Dieser entsetzliche Gedanke machte ihm Angst – nicht der Pistolenlauf.
    «Meine Frau?» Verwundert sah er zu Hofer, der Schrottkins Worte unbeteiligt ins Deutsche übertragen hatte. «Was habe ich mit der zu tun? Wir sind geschieden.»
    «Soso, geschieden. Na, macht nichts. Und was ist mit dem Mädchen, ist doch deine Tochter?»
    Schrottkin schaute zu Hofer, Hofer schaute zu Lorenz und übersetzte, was der schon lange verstanden hatte. Das gab Lorenz etwas Zeit, die Gedanken zu ordnen.
    «Was mit meiner Tochter ist? Sie ist nur wenige Monate alt und kann weder Schädling noch ein Verräter sein.»
    «Aber ihr Vater … und Sie wissen doch, Sie sind ja ein intelligenter Mensch, wenn wir das Kindchen nicht schützen, wird es genauso wie seine Eltern.»
    «Ach, denken Sie doch, was Sie wollen. Jedenfalls, ich kann Ihnen nicht helfen. Auf Ihrer Liste kenne ich niemanden, und selbst fallen mir auch keine Namen ein. Und überhaut, wie lautet die Anklage, aufgrund deren Sie mich hier festhalten? Welcher Richter hat den Haftbefehl unterschrieben? Wann kann ich einen Anwalt sprechen?»
    Lorenz schaltete auf Angriff um, auch wenn es gefährlich war. Aber er wollte weg von dem Thema, bevor Schrottkin merkte, wie nah es ihm ging. Die Fragen provozierten, wie nicht anders zu erwarten, einen Wutausbruch. Wieder prasselte es Flüche und Verwünschungen. Das wurde selbst dem Werkzeug Hofer zu viel:
    «Genosse Hauptmann, Sie können fluchen, so viel Sie wollen. Es trifft nur mich. Der Deutsche versteht Sie nicht.»
    Hofer sprach das Wort «verstehen» sehr langsam, Buchstabe für Buchstabe aus. Vielleicht kapierte es sein Chef ja doch noch. Schrottkin reagierte auf unerwartete Weise: Er packte die Mauser ein und verließ den Raum.
    Von da an leitete Hofer die Untersuchung. Das änderte zwar nichts an Lorenz’ Lage, an den Umgangsformen schon. Tage und Wochen vergingen, in der Sache selbst gab es keine Bewegung. Hofer wies alle Versuche des Inhaftierten zurück, ihn einem ordentlichen Richter vorzustellen. Dieser wiederum weigerte sich, auf die immer neuen, aber nicht minder abwegigen Vorwürfe einzugehen. Aus den vielen, bisweilen zusammenhanglos erscheinenden Gesprächen hörte er allerdings einiges heraus, das den Schluss zuließ, man hatte ihn ohne klare Begründung verhaftet. Das Einfachste wäre sicherlich gewesen, den falschen Verschwörer laufenzulassen. Aber das hieße ja, die NKWD-Leute zu bestrafen. Damit war nicht zu rechnen.
    So quälten sich Hofer und Lorenz von einem nächtlichen Verhör zum

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