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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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Parteifunktionäre aus Saratow er kannte, und, verflucht noch mal, zu gestehen, wie es zu der Verschwörung gekommen sei. Adressen, Namen, Daten der heimlichen Treffen, er wollte alles wissen.
    «Sprechen diese Leute alle Deutsch?», fragte Lorenz jetzt Hofer. Der schüttelte den Kopf.
    «Nein? Wie soll ich mich dann mit denen verschworen haben, wenn ich nicht einmal ihre Sprache kann?»
    Die lakonische Antwort des Angeklagten leuchtete ein. Wenigstens Hofer. Schrottkin dagegen bekam wieder einen Wutanfall. Er sprang von seinem Stuhl und begann, an der Frontseite des Verhörtischs auf und ab zu laufen.
    «Und dieser Faschisten-Chui kann kein Russisch?»
    Mit einer abwertenden Bewegung zeigte er in Richtung Lorenz. Dann schnäuzte er sich lange und laut in ein ziemlich gebrauchtes Taschentuch, offensichtlich darüber nachdenkend, wie es nun weitergehen sollte.
    «Was wollen all diese Schwachköpfe bei uns? Fressen sich am Busen von Mütterchen Russland fett, und nicht genug damit, sie konspirieren auch noch. Gegen die Sowjetmacht! Kaum hast du nicht aufgepasst, kriechen die Bestien aus ihren Löchern. Aber nicht mit uns! Nicht mit mir. Mit der Faust des NKWD werden wir sie erschlagen!»
    Schrottkin blieb beeindruckt von der Gewalt seiner Rede stehen.
    «Hofer, was meinst du, sollten wir den Burschen nicht etwas härter anfassen? Fast habe ich den Eindruck, der macht sich über uns lustig? Ein paar in die Fresse, und schon singt er uns etwas vor. Wie ein Vögelchen im Walde.»
    Er schaute Lorenz betont freundlich ins Gesicht.
    «Genosse Hauptmann, Sie wissen doch, wie der Genosse Oberst nach dem Tod dieses Schurken letzte Woche getobt hat. Den hätten sie noch als Zeugen gebraucht. Ich glaube, wir sollten derzeit etwas vorsichtiger sein. Da gibt es eine Anfrage aus der Zentrale.»
    «Vorsicht! Vorsicht! Der hat gut reden. Wenn wir so weitermachen, ist auch in diesem Monat die Prämie futsch. Mal sehen, was er dann sagt, wenn sein Täubchen Katherina Petrowna wieder auf die Rubelchen verzichten muss?»
    Die Aussicht, wegen des verstockten Deutschen auch noch Geld zu verlieren, weil man nicht genügend Geständnisse weiterleiten konnte, steigerte seinen Zorn. Die ganze schöne Anklage brach in sich zusammen. So viel stand fest: Ein Deutscher, der kein Russisch sprach, passte nicht zu einer Gruppe russischer Verschwörer, die kein Deutsch konnte.
    Wieder prasselte eine Kaskade Schimpfwörter auf Lorenz nieder. Der aber fragte, obwohl die Lage zu eskalieren drohte, mit ernster Miene bei Hofer nach:
    «Was soll denn das heißen: ‹Job twoju mat› und ‹poschol ty na chui›?»
    Natürlich kannte er die Übersetzung. Es waren die zwei meistgebrauchten Verwünschungen des «Mat»: «Gevögelt sei deine Mutter» und «scher dich zum Schwanz».
    Für einen Moment dachten alle, Hofer, der Schreiber, der Wachmann an der Tür und auch Lorenz, dass Schrottkin auf der Stelle der Schlag träfe. Doch dieser griff mit einer blitzartigen Bewegung hinter sich nach dem Lederriemen, an dem ein schweres Holzfutteral hing. Er zog eine Mauser heraus und legte sie auf den Tisch, den Lauf auf Lorenz gerichtet.
    «Was nimmt sich dieser Mistkerl heraus», zischte er in Hofers Richtung. «Flucht hier rum. Hat der immer noch nicht begriffen, dass es um seinen Kopf geht?»
    «Er versteht Sie nicht und fragt, was die Worte bedeuten …», suchte Hofer seinem Vorgesetzten das Geschehen begreiflich zu machen. Vergebens.
    Wieder folgte eine Kanonade dreckiger Beleidigungen. Und wieder fragte Lorenz unschuldig, was denn «chui morshowy» («Walrossschwanz»), zu bedeuten habe. Ihm war klar, dass solche Flüche nur im Russischen einen Sinn ergaben, in einer anderen Sprache klangen sie oft einfach nur lächerlich.
    Kein neuer Ausbruch, Schrottkin wechselte unerwartet die Taktik, er nahm die Pistole vom Tisch, legte die Hände auf den Rücken, ging ein paar Schritte um den Tisch herum und blieb hinter dem Gefangenen stehen. Lorenz wusste einiges über die Prügelorgien in den Kellern, sein Körper spannte sich. Ihm war klar, wenn der Hauptmann nicht anders zum Ziel käme, wartete auch auf ihn ein «Verhör mit Leidenschaft». Diese Art von Verhören gab es schon immer, aber seit kurzem ermunterte die Zentrale ausdrücklich dazu. Folter wurde zur offiziellen Methode der Vernehmung erklärt, passend zur gleichfalls veränderten Rechtsprechung: Das Geständnis des Inhaftierten galt nun als alles entscheidend. Wo es vorlag, bedurfte es keiner weiteren

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