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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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jeder.
    Er drehte sich um und ging.
    Das Verhör war zu Ende. Die Tortur nicht. Auch in der Zelle durfte Lorenz nicht schlafen, das war bei Tag strengstens verboten. Der Wärter sah alle paar Minuten durch das Klappfenster. Wer beim Schlafen erwischt wurde, kam in den Karzer. Eine Zelle, in der es nur eines gab, Hunger. So quälte sich Lorenz bis zum Abend. Später lernte er das Schlafen im Sitzen mit dem Rücken zur Tür.
    Hofer startete noch mehrere Versuche, eine Unterschrift zu bekommen. Jedes Mal, wenn er Lorenz ein vorformuliertes Geständnis vorlegte, tat der so, als studiere er es ausführlich. Wenn es gar nicht mehr anders ging, unterschrieb er auch. War das Dokument in russischer Sprache abgefasst, unterschrieb er grundsätzlich mit lateinischen Buchstaben, den Nachnamen obendrein in Druckschrift. War der Text in deutscher Sprache geschrieben, konnte Lorenz plötzlich ein paar kyrillische Buchstaben, auch hier der Familienname in Druckschrift. So oder so sah das Ganze schon von weitem wie eine Fälschung aus – jeder Wachmann hätte eine derartige Unterschrift zuwege gebracht. Mit dieser Taktik glaubte Lorenz, für den Tag gerüstet zu sein, wenn es zu einer Neuaufnahme seines Verfahrens käme. Würde dann doch ein eigenhändig unterschriebenes Geständnis einer Neubewertung im Wege stehen.
     
    Das alte Jahr ging zu Ende. Seine Haft dauerte bereits Monate, noch immer lag keine Anklageschrift vor. Die Fragen bei den Verhören ließen kaum erkennen, worauf die Ermittler nun aus waren. Ewig konnte es so nicht weitergehen. Lorenz trat in den Hungerstreik. Er verlangte, endlich einen «ordentlichen» Richter zu sehen. Seine Mitgefangenen versuchten, ihn davon abzubringen.
    «Hör auf. Mach Schluss. Die lassen dich einfach verrecken, und das war’s. Einer weniger, mit dem sie sich abplagen müssen …»
    Besonders ein Buchhändler ließ nicht locker. Er wusste, wovon er sprach. In den zwanziger Jahren hatte er ein Priesterseminar besucht, dafür verhafteten sie ihn schon damals. Als er nach ewigen Zeiten zurückkam und seinem Glauben abschwor, durfte er arbeiten, sogar in einer Buchhandlung. Aber nun hatten sie ihn wieder geholt. Wie nicht anders zu erwarten, fanden sie bei ihm auch einige Bücher, die ein guter Sowjetmensch nicht haben durfte.
    «Noch ist bei dir alles drin. Wenn du Glück hast, geben sie dir nur fünf Jahre Lager, auch wenn das selten ist. Und wenn du noch mehr Glück hast, geht es allenfalls hier um die Ecke in den Ural und nicht in die Arktis oder nach Magadan. Aber so ein Hungerstreik strapaziert allen die Nerven. Und das mag die Obrigkeit gar nicht.»
    «Fünf Jahre als Reichsdeutscher?», schaltete sich belustigt ein anderer ein. «Das glaubt ihr ja selber nicht, die denken doch, alle Deutschen sind mit dem Hitler verwandt. Zehn sind das Mindeste.»
    «Es sei denn, er hat jemand, der in Moskau das Händchen über ihn hält. Hast du nicht? Na ja, dann glaube ich auch, eher zehn», räumte ein langer Kerl mit Kennermiene ein. Er hatte ohne Erlaubnis versucht, vom Dorf in die Stadt zu ziehen – was Bauern strengstens verboten war. Die meisten von ihnen besaßen nicht einmal einen Ausweis. Und wer dann auf einem Bahnhof von den dort stationierten NKWD-Leuten erwischt wurde, war dran. Inzwischen gab es an jedem nennenswerten Haltepunkt auch ein Bahnhofsgefängnis. So entwickelte sich der Kommunismus weiter.
    Lorenz blieb stur. Er trank nur Wasser, das Essen wies er zurück. Bei aller Not, keiner in der Zelle rührte seine Ration an. Es vergingen Tage ohne jegliche Reaktion der Gefängnisleitung, bis dann, es war schon nach Mitternacht, und die meisten Häftlinge schliefen, plötzlich die Tür aufgeschlossen wurde. Ein Soldat kam herein, befahl Lorenz mitzukommen. Auf dem Gang warteten zwei weitere Uniformierte, bewaffnet. Kein gutes Zeichen. Für ein Verhör brauchte man nicht so viel Begleitung.
    Lorenz spürte, wie seine Brust eng wurde, das Atmen fiel schwer. Er schleppte sich aus der Zelle und glaubte, einen eigenartigen Blick auf seinem Rücken zu spüren. Dieses Mal ging es nicht über viele Treppen hinauf und wieder hinab, sondern gleich in den Keller. Immer wieder wurden Gittertüren aufgeschlossen und wieder verriegelt. Dann blieb der Trupp vor einer Eisentür stehen. Einer der Soldaten klopfte und schob Lorenz in einen Raum, wie er ihn noch nicht gesehen hatte.
    «Das ist das Ende.»
    Alles in diesem Raum war schwarz. Schwarze Wände, schwarzer Fußboden, selbst der Tisch war mit

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