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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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Bauernschläue auffiel. Trotzki wie Stalin vertraten grundsätzlich die Auffassung, wenn Menschen ihr Glück nicht verstanden, dann musste man nachhelfen. Wenn nötig mit Gewalt. Während Trotzki mit seiner Flucht in den Westen nie über die Theorie hinauskam, trat Stalin den praktischen Beweis an, dass der wahre Weg ins Paradies der Werktätigen von Stacheldraht gesäumt wird.
    «Ja, KRTD und fünf Jahre. Junge, das ist doch so gut wie gar nichts», bekräftigte der Schreiber.
    «Aber ich kenne doch gar keinen Trotzkisten. Und mit Trotzki selbst habe ich auch nie zu tun gehabt.»
    «Dawaj, Nemetz, scher dich zum Chui, sonst erfrieren wir hier alle noch», brüllte der Kommandant. «Keiner von euch Brüdern will sich hier an irgendwas erinnern. Wenn wir das jedes Mal ausdiskutieren wollten, dann hätten wir viel zu tun. Außerdem hast du ja ab sofort genug Zeit, darüber nachzudenken.»
    Da war nichts zu machen. Er war also ein Trotzkist. Auf dem Weg in die Werkstatt, der die zugewehte Bahnlinie entlangführte, erzählte er dem Einkäufer seine Geschichte. Was er in Deutschland gemacht, wie es ihn nach Russland verschlagen, was er gelernt und wo er gearbeitet hatte. Pjotr Semjonowitsch Kruglow hörte nicht ohne Interesse zu, blieb aber zurückhaltend. Trauen konnte man dem Neuen erst, wenn der gezeigt hatte, ob er tatsächlich wusste, wie man einen Hammer hielt.
    Die Werkstatt der Bahnlinie Workuta – Ussa kündigte sich an durch mehrere Weichen und viele schadhafte Waggons, die vereist auf den Gleisen standen. Dazwischen parkte eine Rangierlok, die offenbar noch funktionierte. In der Werkstatt war es warm, fast gemütlich. Der Geruch von Maschinenöl verströmte ein Gefühl der Geborgenheit. Lorenz wusste sofort: Das war die Rettung. Er musste, komme, was wolle, die Arbeit in der Bahnwerkstatt kriegen.
    Kruglow stellte dem Meister seine Beute vor. Der musterte Lorenz von oben bis unten und schüttelte nur den Kopf:
    «Der Kerl passt ja mit beiden Beinen in einen Stiefel. Wie soll der mit dem Hammer zuschlagen? Der kann doch das Eisen nicht mal halten. Wenn Sie mich fragen, Pjotr Semjonowitsch, das wird nichts.»
    Offensichtlich hatte er schon einem anderen den Posten versprochen, und nun kam ihm der Einkauf des Chefs dazwischen. Doch Kruglow ließ sich nicht beirren.
    «Gib ihm eine Arbeit. Mal sehen, was er kann.»
    «Was wollen wir mit dem Docht? Ich habe keine Lust, die Sachen, die so einer versaut, nachzuarbeiten. Und überhaupt», wandte er sich an Lorenz, «was kannst du schon?»
    «Was ihr wollt. Schmied, Schlosser, Schweißer.»
    Lorenz musste jetzt alles riskieren. Ein Docht, das war jemand, dessen Tage gezählt waren. Einer am Verglimmen. So weit war es mit ihm noch nicht, das sollte der Meister sehen.
    Der knurrte noch eine Weile, dann lenkte er ein.
    «Gut. Wir werden bald wissen, was der Nachkomme von Siemens und Zeiss zu bieten hat. Hier, ein kaputter Puffer. Der muss wieder an den Waggon dran. Ich hoffe, du kannst schweißen.»
    «Mach ich», Lorenz nickte. Das dürfte nicht zu schwer sein.
    «Nicht autogen, elektrisch.»
    «Geht auch. Aber ich brauche zwei Mann zum Halten.»
    «So viel Luxus gibt es vielleicht in Deutschland. Bei uns wird das mit einem gemacht!» Der Meister grinste, als wollte er sagen: Hab ich’s doch gewusst, ist ein Aufschneider.
    «Da drüben liegt Werkzeug.» Er wies auf einen Kasten in der Ecke, lauter verbogener, rostiger Schrott.
    Lorenz blickte Kruglow an:
    «Kann ich mir selbst das Werkzeug nehmen?»
    Der Chef nickte. Der Meister kratzte sich die Bartstoppeln, aber er schwieg. Lorenz ging langsam von Werkbank zu Werkbank und suchte auf jedem Tisch, was er brauchte. Kruglow nickte wieder:
    «Nicht schlecht. Ein so blutiger Anfänger, wie du dachtest, ist er mit Sicherheit nicht.»
    Beide scherten sich keinen Deut darum, dass der, über den sie sprachen, alles mit anhören konnte. Die Machtverhältnisse in der Werkstatt waren klar: Jeder Neue hatte zu kuschen, sonst war er die Arbeit im Warmen sofort wieder los. Vor allem auch die deutlich bessere Verpflegung. Die wurde in der Lagerwelt in «Kessel» eingeteilt. Die ärmsten Schlucker, die draußen Schnee schaufeln mussten und die Norm nie erfüllen konnten, bekamen am Ende eines Tages auch noch das schlechteste Essen, höchstens 300 Gramm Brot und eine Schüssel «Balanda». Das war der sogenannte 1. Kessel. Hier in der Werkstatt sorgte man dafür, dass die Normierer die Anforderungen nicht zu hoch schraubten. So war

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